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Über den Fluß und in die Wälder

Über den Fluß und in die Wälder

Titel: Über den Fluß und in die Wälder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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Gesicht eines Ausfragers, Colonel, und ich hab von dem Orden gehört, obschon ich kein Mitglied bin.»
    «Sie sind vielleicht Mitgliedsmaterial. Ich werde es mit dem Gran Maestro besprechen.»
    «Wir kommen aus derselben Stadt, aber aus verschiedenen Stadtteilen.»
    «Es ist eine gute Stadt.»
    «My Colonel, ich habe so wenig politische Schulung, daß ich alle ehrenhaften Leute für ehrenhaft halte.»
    «Ach, das wird sich schon geben», versicherte ihm der Colonel. «Mach dir keine Sorgen, Junge. Deine Partei ist noch jung. Ganz natürlich, daß ihr Fehler macht.»
    «Bitte, reden Sie nicht so.»
    «Das war nur so ein derber frühmorgendlicher Ulk.»
    «Sagen Sie bitte, Colonel. Aufrichtig, was denken Sie über Tito?»
    «Ich denke allerhand. Aber er ist mein unmittelbarer Nachbar. Ich halte es für richtiger, nicht über meinen Nachbarn zu reden.»
    «Ich hätte es gern erfahren.»
    «Erfahren Sie’s nur in der harten Schule des Lebens. Wissen Sie denn nicht, daß Leute auf solche Fragen keine Antwort geben?»
    «Ich hoffe, sie täten’s.»
    «Sie tun’s nicht», sagte der Colonel. «Nicht in meiner Position. Alles, was ich Ihnen sagen kann, ist, daß Mr. Tito eine Masse Probleme hat.»
    «Nun, das weiß ich also jetzt genau», sagte der Nachtportier, der eigentlich noch der reine Junge war.
    «Hoffentlich», sagte der Colonel. «Was Wissen anlangt, halte ich es aber nicht für eine besonders kostbare Perle. Also, adieu. Ich muß jetzt zum Besten meiner Leber oder von sonstwas einen Spaziergang machen.»
    «Adieu, my Colonel. Fa brutto tempo.»
    «Bruttissimo», sagte der Colonel und zog den Gürtel seines Regenmantels fest zu, rekelte sich mit den Schultern zurecht, zog die Schöße gut hinunter und trat hinaus in den Wind.

21
    Der Colonel fuhr mit der Zehn-Centesimi-Gondel über den Kanal, bezahlte mit dem üblichen schmutzigen Geldschein und stand in der Menge derer, die zum frühen Aufstehen verdammt sind.
    Er blickte aufs Gritti zurück und sah die Fenster seines Zimmers; sie standen noch auf. Weder versprach es noch drohte es zu regnen; es blies nur der gleiche starke, wilde, kalte Wind von den Bergen. Alle in der Gondel sahen verfroren aus, und der Colonel dachte: Ich wünschte, ich könnte an alle hier an Bord diese winddichten Mäntel ausgeben. Gott und jeder Offizier, der mal einen getragen hat, weiß, daß sie nicht wasserdicht sind, und wer hat wohl daran verdient?
    Durch einen Burberry geht kein Wasser. Aber ich nehme an, irgendein geriebener Laffe hat jetzt seinen Jungen in Groton oder Canterbury, wo die Söhne der großen Armeelieferanten hinfahren können, weil unsere Mäntel nicht wasserdicht sind.
    Und wie steht’s mit irgendeinem meiner Kameraden, der mit ihm halb und halb gemacht hat? Wer wohl die Benny Meyers der regulären Armee waren? Wahrscheinlich war es nicht nur einer. Wahrscheinlich, dachte er, müssen es eine ganze Menge gewesen sein. Du bist wohl noch nicht richtig wach, so simpel einherzureden? Aber den Wind halten sie ab. Die Regenmäntel. Regenmäntel, leck mich am Arsch!

    Die Gondel legte zwischen den Pfählen am anderen Ufer des Kanals an, und der Colonel beobachtete die schwarz gekleideten Leute, die aus dem schwarz gestrichenen Fahrzeug hinauskletterten. Ist das ein Fahrzeug? dachte er. Oder muß ein Fahrzeug Räder haben oder auf Schienen laufen?
    Keiner würde dir auch nur einen Groschen für deine Gedanken geben, dachte er. Heute morgen nicht. Aber sie sind auch schon eine gewisse Summe Geld wert gewesen, wenn es darauf ankam.
    Er drang in das äußere Ende der Stadt ein, das Ende, das schließlich an die Adria grenzt und das er am liebsten hatte. Er ging zuerst durch eine sehr enge Gasse; er beabsichtigte weder die Anzahl der mehr oder weniger von Norden nach Süden laufenden Straßen im Geist zu vermerken noch die Brücken zu zählen, sondern wollte versuchen, sich zu orientieren, um, ohne in irgendwelche Sackgassen zu geraten, am Markt herauszukommen.
    Es war ein Spiel, das er spielte, wie manche Leute ‹Double Canfield› spielten oder allein eine Patience legten. Aber es hatte den Vorzug, daß man sich bewegte, während man es spielte, und daß man sich, während man spazierenging, die Häuser ansah, die unbedeutenderen Aussichten, die Geschäfte und die trattorias und die alten Paläste der Stadt Venedig. Wenn man Venedig liebte, war es ein ausgezeichnetes Spiel.
    Es ist eine Art von solitaire ambulante, und was man gewinnt ist Beglückung für Auge und Herz.

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