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Über den Fluß und in die Wälder

Über den Fluß und in die Wälder

Titel: Über den Fluß und in die Wälder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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jemanden darauf aufpassen, während Sie den Wagen herunterbringen», sagte der Colonel zu Jackson. «Geben Sie auf meine Gewehre acht und packen Sie den Kram so ein, daß hinten im Auto möglichst viel Platz frei bleibt.»
    «Jawohl, Sir», sagte Jackson.
    «Fahr ich doch mit?» fragte das Mädchen.
    «Nein», sagte der Colonel.
    «Warum kann ich nicht mitkommen?»
    «Das weißt du sehr gut. Du bist nicht eingeladen.»
    «Bitte, sei nicht so böse.»
    «Himmelherrgott, Tochter, wenn du wüßtest, was ich mir für Mühe gebe, um es nicht zu sein. Es ist leicht, wenn man böse ist. Wir wollen den guten Mann hier entlohnen und hinübergehen und uns auf die Bank da unter dem Baum setzen.»
    Er entlohnte den Besitzer des Motorbootes und sagte ihm, daß er den Jeepmotor nicht vergessen habe. Er sagte ihm auch, daß er nicht damit rechnen solle, daß aber eine gute Chance bestünde, daß er ihn bekommen könne.
    «Es wird ein gebrauchter Motor sein. Aber er wird besser sein als der Spirituskocher, den Sie jetzt da drin haben.»
    Sie gingen die abgenutzten Steinstufen hinauf und überquerten den Kies und setzten sich auf eine Bank unter den Bäumen.
    Die Bäume waren schwarz und bewegten sich im Wind, und es waren keine Blätter an ihnen. Die Blätter waren in jenem Jahr früh abgefallen und längst aufgefegt worden.
    Ein Mann kam heran, um ihnen Postkarten zum Kauf anzubieten, und der Colonel sagte zu ihm: «Verzieh dich, mein Sohn, wir können dich jetzt nicht gebrauchen.»
    Das Mädchen weinte schließlich, obschon sie den Entschluß gefaßt hatte, niemals zu weinen. «Sieh mal, Tochter», sagte der Colonel. «Was kann man schon sagen? Man hat in das Gefährt, in dem wir jetzt fahren, keine Stoßdämpfer eingebaut.»
    «Ich hab aufgehört», sagte sie. «Ich bin nicht hysterisch.»
    «Das würde ich auch nicht von dir sagen. Ich würde sagen, daß du das wunderbarste und allerschönste Mädchen bist, das je gelebt hat. Irgendwo, irgendwann, jemals.»
    «Selbst wenn es wahr wäre, welchen Unterschied würde es machen?»
    «Darauf weiß ich keine Antwort», sagte der Colonel. «Aber wahr ist es.»
    «Also was jetzt?»
    «Also jetzt stehen wir auf und küssen einander und sagen Lebwohl.»
    «Was ist das?»
    «Das weiß ich nicht», sagte der Colonel. «Wahrscheinlich gehört es zu den Dingen, mit denen jeder selbst fertig werden muß.»
    «Ich werde versuchen, damit fertig zu werden.»
    «Nimm’s dir so wenig zu Herzen wie möglich, Tochter.»
    «Ja», sagte das Mädchen. «In dem Gefährt ohne Stoßdämpfer.»
    «Du warst von Anfang an für den Henkerskarren bestimmt.»
    «Kannst du denn nichts auf freundliche Art tun?»
    «Ich fürchte, nein. Aber ich hab mich bemüht.»
    «Bitte, bemüh dich weiter. Das ist unsere ganze Hoffnung.»
    «Ich werde mich weiter bemühen.»
    Sie hielten einander eng umschlungen und küßten einander fest und aufrichtig, und der Colonel brachte das Mädchen über den Kiesstreifen, die Steinstufen hinunter.
    «Du solltest ein gutes nehmen, nicht das alte Boot mit dem umgebauten Motor.»
    «Ich möchte lieber in dem Boot mit dem umgebauten Motor fahren, wenn es dir nichts ausmacht.»
    «Ausmacht?» sagte der Colonel. «Mir doch nicht. Ich gebe nur Befehle und gehorche Befehlen. Mir macht es nichts aus. Leb wohl, meine Liebe, Holde, Wunderschöne!»
    «Leb wohl!» sagte sie.

40
    Er war in der eingelassenen eichenen Tonne, die man im Veneto als Schirm benutzt. Ein Schirm ist jede Vorrichtung, die benutzt wird, um den Jäger vor allem, was er schießen will, zu verbergen; in diesem Fall waren es Enten.
    Die Fahrt hinaus mit den Jungen war angenehm gewesen, nachdem er sie erst mal an der Garage getroffen hatte, der Abend auch, mit ausgezeichnetem Essen, das auf der alten, offenen Feuerstelle in der Küche zubereitet war. Drei Jäger hatten auf dem Weg zum Jagdort auf dem Rücksitz des Autos gesessen. Diejenigen, die nicht logen, hatten sich ein gewisses Maß an Übertreibungen erlaubt, und die Lügner waren niemals in vollerer Blüte gewesen. Ein Lügner in voller Blüte, hatte der Colonel gedacht, ist so schön wie ein Kirschbaum oder ein Apfelbaum, wenn er in Blüte steht. Wer sollte jemals einen Lügner entmutigen? dachte er, außer, wenn er einem Koordinaten gibt?
    Der Colonel hatte sein ganzes Leben lang Lügner gesammelt, wie manche Menschen Briefmarken sammeln. Er ordnete sie aber nur momentan ein, und eigentlich schätzte er sie auch wirklich. Im gegebenen Moment jedoch genoß er ihre Lügen

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