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Über den Fluß und in die Wälder

Über den Fluß und in die Wälder

Titel: Über den Fluß und in die Wälder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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erklären.»
    «Das wird wunderbar. Welchem Ort sieht Sheridan am ähnlichsten? Mantua oder Verona oder Vicenza?»
    «Keinem von denen. Es liegt hoch oben direkt in den Bergen beinah wie Schio.»
    «Ist es also wie Cortina?»
    «Überhaupt nicht. Cortina liegt in einem Hochtal im Gebirge. Sheridan zieht sich den Berghang hinauf. Die Big Horns haben keine Vorberge. Sie streben steil vom Plateau auf. Man kann Cloud’s Peak von da sehen.»
    «Wird unser Wagen die Steigungen gut nehmen können?»
    «Und ob er wird, verflucht noch mal! Aber ich hätte lieber keine hydraulisch-automatische Schaltung.»
    «Ich kann darauf verzichten», sagte das Mädchen. Dann hielt sie sich steif und starr, um nicht zu weinen. «Wie ich auf alles andere verzichten kann.»
    «Was willst du trinken?» sagte der Colonel. «Wir haben noch nicht einmal bestellt.»
    «Ich glaube, ich möchte gar nichts trinken.»
    «Zwei Martini extra dry», sagte der Colonel zu dem Barmixer an der Theke, «und ein Glas kaltes Wasser.»
    Er langte in seine Tasche und schraubte den Verschluß der Medizinflasche auf und schüttelte zwei der großen Tabletten in seine linke Hand. Er hielt sie in der Hand, als er den Verschluß wieder zuschraubte. Es war kein Kunststück für einen Mann mit einer schlimmen rechten Hand.
    «Ich habe gesagt, daß ich nichts trinken will.»
    «Ich weiß, Tochter. Aber ich dachte, daß du vielleicht einen gebrauchen wirst. Wir können ihn auf der Theke stehen lassen. Oder ich kann ihn trinken. Bitte», sagte er, «ich wollte nicht schroff sein.»
    «Wir haben noch nicht nach dem kleinen Mohren gefragt, der sich um mich kümmern soll.»
    «Nein. Ich wollte ihn mir erst geben lassen, wenn Cipriani da ist und ich für ihn bezahlen kann.»
    «Muß alles so peinlich genau sein?»
    «Ich glaube, bei mir ja», sagte der Colonel. «Verzeih mir, Tochter.»
    «Sag dreimal hintereinander Tochter.»
    «Hija, figlia, Tochter.»
    «Ich weiß nicht», sagte sie, «ich glaube, wir wollen weggehen. Ich hab gern, wenn andere Leute uns sehen, aber ich mag jetzt niemanden sehen.»
    «Die Schachtel mit dem Mohren darin steht auf der Registrierkasse.»
    «Ich weiß. Ich habe sie schon eine ganze Weile gesehen.»
    Der Barmixer kam mit den zwei Drinks; sie waren eiskalt durch die frostige Kälte der Gläser, und er brachte auch das Glas Wasser.
    «Geben Sie mir das kleine Paket, das für mich gekommen ist und auf der Registrierkasse liegt», sagte der Colonel zu ihm. «Sagen Sie Cipriani, daß ich ihm einen Scheck dafür schicken werde.»
    Er hatte seine Entscheidung umgestoßen.
    «Willst du einen Drink, Tochter?»
    «Ja, wenn dir’s recht ist, daß auch ich’s mir umüberlege.»
    Sie tranken, nachdem sie ganz leicht mit den Gläsern angestoßen hatten, so leicht, daß der Kontakt kaum spürbar war.
    «Du hattest recht», sagte sie, als sie die Wärme fühlte und der Martini für den Augenblick ihren Kummer vernichtete.
    «Du hattest auch recht», sagte er und verbarg die beiden Tabletten in der hohlen Hand.
    Er fand es geschmacklos, die Tabletten jetzt mit Wasser hinunterzuspülen. Darum schluckte er sie, als das Mädchen einen Augenblick den Kopf wandte, um einen Vormittagstrinker zur Tür hinausgehen zu sehen, mit dem Martini herunter.
    «Wollen wir gehen, Tochter?»
    «Ja, sicher.»
    «Mixer», sagte der Colonel. «Wieviel machen die Drinks? Und vergessen Sie nicht, Cipriani zu bestellen, daß ich ihm für den kleinen Unsinn hier einen Scheck schicken werde.»

38
    Sie aßen im Gritti zu Mittag, und das Mädchen hatte den kleinen Ebenholzkopf und Torso des Mohren ausgepackt und ihn hoch oben auf ihrer linken Schulter angesteckt. Er war ungefähr acht Zentimeter lang und war sehr schön anzusehen, wenn man derartige Dinge mochte. Und wenn nicht, ist man dämlich, dachte der Colonel.
    Aber du sollst nicht einmal grobe Sachen denken, sagte er zu sich. Du mußt jetzt in jeder Beziehung freundlich sein, bis du auf Wiedersehen sagst. Was für ein Wort ‹auf Wiedersehen›, dachte er.
    Es klingt wie ein Motto fürs Poesiealbum.
    Auf Wiedersehen und bonne chance und basta la vista. Wir sagten einfach Scheiße und beließen es dabei. Lebwohl, das ist ein hübsches Wort. Es klingt auch hübsch, dachte er*. Lebwohl. Lebwohl auf lange und nimm es dorthin mit, wo du hingehst. Mit allem Zubehör, dachte er.
    «Tochter», sagte er. «Wie lange ist es her, daß ich dir gesagt habe, daß ich dich liebe?»
    «Nicht, seitdem wir hier am Tisch sitzen.»
    «Ich sag es dir

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