Ueber den Himmel hinaus - Roman
Kleideranprobe freigenommen. Sie wollte gerade losgehen, als es an der Tür klingelte.
»Hallo?«
»Hier ist Marcus Pringle, der Schreiner.«
»Oh. Kommen Sie rauf.«
Sie hätte auf der Stelle Rupert aus dem Bad holen sollen. Stattdessen ging sie zum Spiegel und überprüfte ihr Aussehen. Es klopfte, und sie öffnete die Tür. Er trug ein enges schwarzes T-Shirt und Jeans, die vom jahrelangen Tragen ausgewaschen und zerfranst waren und nicht, weil man sie in einer Designerwerkstatt gebleicht und mit Schmirgelpapier malträtiert hatte.
»Guten Morgen«, sagte sie, um einen kühlen Tonfall bemüht. Sie hörte, wie die Dusche abgedreht wurde.
Er antwortete ebenso kühl, zweifellos, weil sie sich ihm gegenüber so abweisend verhalten hatte. Bestimmt hielt er sie für eine arrogante Schnepfe. »Der Elektriker hat angerufen. Ich muss einen der Küchenschränke noch einmal ausbauen.«
Natalja hielt ihm die Tür auf. »Kommen Sie rein. Ich
hole Rupert.« Das Herz schlug ihr bis zum Hals, nicht nur, weil sie Marcus so attraktiv fand, sondern weil sie Angst hatte, Rupert könnte womöglich ihre Gedanken lesen. »Rupert! Der Schreiner ist wieder da.« Sie vermied es tunlichst, Marcus beim Namen zu nennen, was auf Vertrautheit, ja, Intimität hätte schließen lassen können.
Rupert kam sogleich in den Flur. »Machst du dich auf den Weg?«, fragte er, als könnte er es kaum erwarten, sie aus dem Haus zu wissen.
»Ja.«
Sie ging, ohne Marcus eines weiteren Blickes zu würdigen.
Ihr Hochzeitskleid stammte von einer jungen britischen Designerin, die es ihnen kostenlos zur Verfügung stellte, weil sie sich davon erhebliche Publicity versprach. Rupert hatte es ausgesucht. Es war mit Abstand das schönste Kleid, das Natalja je gesehen hatte - ein Unikat aus elfenbeinfarbener Seide mit trägerlosem Mieder und einem Glockenrock, der mit Bändern verziert und am Saum mit Saatperlen bestickt war. Sie kam sich vor wie eine Göttin, wenn sie es trug, und bewunderte sich in den drei großen Spiegeln des Ateliers am Marble Arch, während die Designerin an ihr herumnestelte. Wenn sie nach der Anprobe wieder in ihre Straßenkleider schlüpfte, fühlte sie sich klein und nichtssagend.
Auf dem Rückweg spazierte sie die Oxford Street entlang und schielte in die Schaufenster der billigen Schuhläden, in denen Rupert sie nicht einkaufen ließ. Als sie ihren Namen hörte, reagierte sie zunächst gar nicht; bestimmt war es nur ein Fan. Dann fiel ihr auf, dass man sie bei ihrem richtigen Namen gerufen hatte. Von ihren Fans wurde sie meist mit Natalie oder Tatjana angesprochen. Es war
Roxanne, die Frau des walisischen Regisseurs, die ihr winkte und auf sie zu eilte.
»Hallo!«, rief sie und hauchte Natalja aus mindestens zehn Zentimetern Entfernung zwei Luftküsschen auf die Wangen.
»Wie schön, dich zu sehen.«
»Ich mache einen Einkaufsbummel.« Roxanne schwenkte ihre Einkaufstüten. »Und du?«
»Ich komme gerade von einer Anprobe für mein Hochzeitskleid.«
»Wie aufregend!« Roxanne verzog den hübschen Mund. »Wir fanden es übrigens sehr bedauerlich, dass du die Rolle abgelehnt hast.«
Natalja war verwirrt. »Wie bitte?«
»Vor allem Glynn war untröstlich. Er hatte sich schon so darauf gefreut, dass du mitspielst.«
Jetzt nur kein falsches Wort. »Ach ja? Das wusste ich nicht.«
»Doch, doch, ganz im Ernst. Er musste eine amerikanische Schauspielerin engagieren, die eine Ewigkeit gebraucht hat, um den Akzent richtig hinzubekommen.«
Der Film. Es ging um Glynns Spionagethriller, für den sie hätte vorsprechen sollen. Sie hatte die Rolle nicht abgelehnt; man hatte sie ihr gar nicht angeboten. Sie ballte die Fäuste, weil ihre Hände zu zittern begannen.
Wie konnte Rupert ihr das antun?
Natalja setzte ein beschwichtigendes Lächeln auf. »Glynn nimmt es mir doch hoffentlich nicht übel, oder?«
»Aber nein. Vertrag ist Vertrag. Da ist nichts zu machen, wenn du bei Lonely Shores keine längere Pause einlegen kannst. Obwohl es mich wundert, dass sich Rupert nicht ein bisschen mehr für dich eingesetzt hat. Schließlich ist es
seine Sendung.« Roxanne zuckte mit den Schultern. »Aber ich will nichts gesagt haben. Er hatte bestimmt seine Gründe.«
»Ja, die hatte er. Na, egal.« Natalja konnte ihre Wut nur mit Mühe im Zaum halten. Sie verabschiedete sich überstürzt, eilte die North Audley Street entlang und wäre beim Überqueren der Straße beinahe vor ein Auto gelaufen. Sie wollte nur noch nach Hause, um Rupert
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