Ueber den Himmel hinaus - Roman
eine neue Band gesucht, und Tony, der mäßig talentierte Bassist, redete unablässig von seinen Kontakten, die ihnen Auftritte oder Verträge verschaffen konnten. Bis jetzt war nicht viel dabei herausgekommen, doch Sam hielt große Stücke auf ihn. Leider ließ Sams Menschenkenntnis oft sehr zu wünschen übrig, wie Lena mittlerweile wusste.
»Mummy?«, schniefte Matthew. »Essen?«
»Ich koche euch gleich etwas.« Lena griff nach der Fernbedienung und schaltete den Fernseher aus. Nun war der Bann gebrochen, und auch Anna begann zu quengeln. Lena stellte ihnen eine Schachtel mit großen Legosteinen hin und ging in die Küche. Ihr Fach in der Speisekammer war praktisch leer; Sam musste vergessen haben einzukaufen. Sie beschloss, Nudeln mit Käse zu machen, und stellte Wasser auf.
»Wendy, könntest du noch mal kurz auf sie aufpassen?«, bat sie. »Ich muss duschen. Eines der Kinder in der Krippe hat mir gleich morgens eine Banane ins Haar gedrückt.«
»Das soll gut gegen Spliss sein«, scherzte Wendy, die am Küchentisch saß und sich gerade eine Zigarette anzündete. »Deine Schwester ist in der Zeitung. Willst du mal sehen?«
Eigentlich nicht. Aber das durfte sie nicht laut sagen, denn man würde es ihr zweifellos negativ auslegen. Sie liebte Natalja; sie war stolz auf sie und wünschte ihr nur das Allerbeste, aber der Einkommensunterschied zwischen ihnen jagte ihr Angst ein. Wenn ihre Schwester jetzt hier vor ihr in der Küche stünde, würde sie sich freuen, sie zu sehen. Doch die Schauspielerin Natalie Chernoff kam ihr fast vor wie eine Fremde und erinnerte Lena nur an all das, was in ihrem Leben nicht nach Plan gelaufen war.
Lena überflog den Artikel - irgendein Unsinn über eine
Affäre mit einem italienischen Dressman - und versuchte, beim Anblick ihrer glamourösen Schwester nicht an ihre eigenen verfilzten Haare und ihre schmutzigen Fingernägel zu denken.
»Das ist ein Leben, was?«, sagte Wendy. »Teure Clubs und ein italienischer Freund.«
»Er ist ganz sicher nicht ihr Freund. Sie ist mit Rupert zusammen, und Natalja geht nicht fremd.«
»Das habe ich auch nicht behauptet.«
»Aber du hast es angedeutet. Du glaubst, dass sie Rupert hintergeht, wie es hier steht.«
Wendy verdrehte die Augen. »Nimm das doch nicht gleich so ernst.«
Lena seufzte. »Entschuldige, ich hatte einen anstrengenden Tag. Ich gehe duschen.«
Auf dem Weg ins Bad am Ende des Flurs spähte sie zu Sams Großvater hinein, dessen Tür wie immer offen stand. Er saß in einem Sessel am Fenster, eine alte Decke der Zwillinge über den Knien. Der Anblick seiner hängenden Schultern stimmte Lena traurig. Er wartete auf den Tod, das war unverkennbar. Wendy wartete ebenfalls darauf, und das wusste er vermutlich.
»Hallo Grandad«, sagte sie leise von der Schwelle aus.
Er hob den Kopf. »Deine Kinder haben den ganzen Tag Krach gemacht«, sagte er missmutig.
»Das tut mir leid. Sam hätte auf sie aufpassen sollen.«
Er sah aus dem Fenster. Lena ging zu ihm und strich die Decke auf seinem Schoß glatt. »Es ist kalt draußen.«
»Das ist es doch immer.« Er röchelte.
»Brauchst du deine Sauerstoffmaske?«
Er winkte ab, und sie ging hinaus. Anfangs hatte sie ihn für einen langweiligen alten Griesgram gehalten, aber inzwischen
hatte sie hinter die harte Schale geblickt und war sicher, dass er ihre Fürsorge zu schätzen wusste, auch wenn er es nicht zeigte.
Als sie aus dem Bad kam, stand Sam in der Küche und legte letzte Hand ans Abendessen. Die Kinder saßen in ihren Babystühlen, und Matthew schrie aus Leibeskräften, während Anna mit einem Löffel auf das Tablett klopfte. So würde das jetzt weitergehen, bis die beiden in ihren Bettchen hinter dem Vorhang lagen, der ihr Schlafzimmer in zwei Hälften teilte. Lena hätte nie gedacht, dass zwei Kinder so viel Arbeit machen würden. Doch in den langen Nächten der ersten drei Monate, wenn sie mit ihrer Verzweiflung und ihrer Reue allein gewesen war, hatte sie begriffen, dass sie von nun an die Sklavin dieser beiden sich krümmenden Bündel sein würde. Ihr Leben gehörte ihr nicht mehr, ihre Bedürfnisse - schlafen, essen, duschen - waren nebensächlich, von ihren Träumen vom Filmstardasein ganz zu schweigen. Wie lächerlich ihr diese kindischen Fantasien nun vorkamen.
Anna hatte mit etwa drei Monaten ihren Daumen entdeckt und schlief nun bis zum Morgengrauen durch, doch Matthew verlangte eisern im gewohnten Rhythmus nach Nahrung, weshalb Lena schließlich kapitulierte
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