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Über den Missouri

Über den Missouri

Titel: Über den Missouri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Dampf, und endlich durchflutete ihn das lichte Gold der Sonnenstrahlen. Der Wanderzug hielt. Alle hatten erschreckt die Schüsse gehört, aber alle wußten auch schon, daß die erste drohende Gefahr abgewehrt war.
    Der alte Hawandschita hob die Hände und sprach für die ganze Schar zu dem heiligen Unbekannten das Morgengebet, die Bitte um Frieden, wie es seit Urväterzeiten Brauch war. Der Knabe Hapedah kannte diesen feierlichen Augenblick seit seiner frühesten Kindheit, und heute durchlebte er ihn mit einem besonderen und tiefen Ernst. Denn zum erstenmal schien jetzt die Sonne über den Auswanderern, die einen langen Weg zu einer neuen Heimat vor sich hatten.
    Die Wälder und Felsen der Black Hills nahmen die Flüchtlinge auf. Der Knabe Hapedah hatte diese Berge, die zum Kerngebiet der Dakotalandes gehörten, noch nie betreten, und mit seinem Wunsch, den Feinden zu entgehen, verband sich eine forschungslustige Spannung auf das Neue, das er dort sehen und erleben würde.
    Hapedah hörte die Beilhiebe, mit denen die Männer an der Spitze zwischen Geäst und Unterholz des Waldes eindrangen. Von der Prärie her tauchte Tokei-ihto mit seinen beiden »weißen Wölfen« auf. Die Männer hielten die Waffen noch immer bereit und folgten dem Zug in kurzem Abstand.
    Als Hapedah an der Reihe war, zwischen dichtes Gestrüpp einzudringen, stieg er ab und führte seinen Mustang am Zügel. Es ging im Wald zunächst abwärts, denn ein Flußtal legte sich wie ein Gürtel um den Bergstock; aus dem Talgrund klang das Rauschen des Wasser herauf. Der Zug hatte einen alten Wildpfad gewählt, den auch schon die Dakota-Abteilungen dieser Gegend regelmäßig benutzt haben mochten.
    Aber der Sturm hatten von neuem Stämme gestürzt, und der Schnee hatte Äste gebrochen; daher war das Vordringen trotz der Pfadspur mühsam.
    Im Talgrund konnte Hapedah den Fluß im Sonnenschein übersehen. Die durchsichtigen Wellen glitten über den Sand und zwischen großen verschneiten Steinen hindurch.
    Das handhohe Wasser trug nur dünne Eisfetzen. Nur in der Mitte hatte sich der Fluß eine tiefere Rinne gegraben, in der das Wasser ungehindert und schnell durchschoß. An dieser Stelle gab es einigen Aufenthalt, da sie von den Pferden mit den Travois nicht so leicht zu nehmen war. Die Spitze des Zuges hatte am jenseitigen Ufer aber schon eine Wendung nach links gemacht und zog flußaufwärts.
    Die Wandernden folgten den unzähligen Krümmungen, mit denen sich der Fluß um das Gestein des Bergstocks wand. Die Bäume mit ihren glitzernden Schneelasten standen still Spalier am Ufer. Es ging weiter und weiter. Wenn der Wanderzug eine Biegung des Flusses nahm, konnte Hapedah Menschen und Pferde bis zur Spitze des Zuges erkennen. Hawandschita konnte er sehen, auch Untschida, die den falben Mustang führte, und den schwarzen Ohitika. Aber seinen Freund Tschaske vermochte Hapedah nicht zu entdecken. Wo Tschaske nur steckte! Er mußte mitgekommen sein! Es war doch selbstverständlich, daß Tschaske mitgezogen war und nicht etwa in dem Zelt seines ihm verhaßten Pflegevaters Schonka zurückgeblieben war. Aber wo war er nur?
    Ermüdende Stunden hindurch ging es ohne Pause weiter.
    Endlich sank die Sonne flußaufwärts im Westen und übergoß die Wipfel und Bergeshöhen mit einem zarten leuchtenden Rot. Das Tal versank im Abendschatten, und das rauschende Wasser wurde dunkler.
    Hapedah war froh, als Hawandschita Halt befahl. Der Junge war erschöpft, nachdem er eine Nacht durchwacht und vierzehn Stunden ohne Essen auf dem Pferderücken ausgehalten hatte. Den Lagerplatz konnte er schon sehen. Es war eine sanft ansteigende, gegen Norden geschützte Talbucht, die die Führer des Wanderzuges zu diesem Zweck gewählt hatten. Schnee lag auch hier unter den Kiefern und den kahlen Eichen, aber nicht so hoch wie auf der Prärie. Die Pferde wurden abgeladen und in den Wald geführt.
    Auch Hapedah gab seinen Mustang zum Weiden frei. Er selbst stapfte unterdessen suchend umher. Unter einem alten Baum mit knorrigem Geäst fand er den Vater, der in einer Mulde zwischen den Wurzeln in Decken eingehüllt lag. Die Mutter brachte den gefüllten Wassersack, und Hapedah verspeiste die eine der beiden Krähen, die Mongschongschah am Abend vorher gebraten hatte. Die andere hob er auf. Vielleicht hatte Tschaske nichts zu essen. Tschetansapa nahm nichts zu sich. »Hunger ist gut für die Heilung der Wunden«, lehrte er seinen Sohn.
    Mongschongschah gab Hapedah die Schlafdecken. Zelte wurden

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