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Über den Zufall - Jean Paul, Hölderlin und der Roman, den ich schreibe

Titel: Über den Zufall - Jean Paul, Hölderlin und der Roman, den ich schreibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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angelangt bin, die ich gerade halte, und mir also den Germanisten erst noch ausdenken und vor allem eine plausible Erklärung finden muß, wie er sich überhaupt in den Schaltraum schleichen kann und warum er als Germanist etwas von Übertragungsfrequenzen versteht. Um weitere Verwicklungen abzuwenden, habe ich Isaak Dentler und Martin Rentzsch vom Schauspiel Frankfurt, die Hölderlin und Jean Paul so wunderbare Stimmen leihen, heute gebeten, in Pultmikrophone zu sprechen, deren Frequenzen nicht einmal der liebe Gott sabotieren kann, weil sie keine haben. Ja, lieber Gott! Ich weiß schon, daß Du alles Mögliche vermagst, Du kannst die Bande der Sterne zusammenbinden und das Band des Orion auflösen, wie Du den armen Hiob einschüchtern mußtest, Du kannst den Morgenstern hervorbringen zu seiner Zeit oder den Bären am Himmel samt seinen Jungen heraufführen, Du kannst die Blitze auslassen, daß sie hinfahren und sprechen zu dir, Hier sind wir . . . – aber etwas stören, zerstören, das es nicht gibt, das kannst nicht einmal Du. Eben deshalb – weil nicht nichts zu nichts werden kann, sondern nur etwas, ruft Empedokles:
     
    O glaub es mir, ich wäre lieber nicht
    Geboren! 26
     
    Doch zurück zu der Erklärung für meine willkürliche Verbindung, mit welcher sich der Semester-Poetologe bei dem Germanisten, den er noch erfinden muß, wieder einzuschmeicheln versucht: Weder Jean Paul noch Hölderlin werden üblicherweise der deutschen Romantik im engeren Sinne zugerechnet, obwohl sie mit ihr zweifellos korrespondierten. Von Schlegel, Brentano und Novalis waren sie beide gleichermaßen entfernt, wenn auch in gegensätzlichen Richtungen. Nimmt man jedoch den sehr viel weiter gefaßten Begriff des Romantischen aus der Vorschule der Ästhetik als Hinwendung zu oder auch nur bloßen Ahnen, Sehnen nach einer anderen Wirklichkeit als der von Raum und Zeit, sind nicht nur Jean Paul und Hölderlin, nicht nur Shakespeare, Cervantes, Goethes Faust oder die Liebesgeschichte der 185ten bis 210ten Nacht der arabischen Märchen, die in der Vorschule als Beispiel angeführt werden, dann sind von Büchner und Kleist bis Kafka und Heimito von Doderer beinah alle Romantiker, wegen denen die deutsche unter allen Literaturen der Moderne für mich am höchsten steht.
     
    Täglich geh’ ich heraus, und such’ ein Anderes immer 27
     
    beginnt »Menons Klagen um Diotima« geradezu leitmotivisch für Hölderlins Werk und zugleich für das Wesen des Romantischen im Sinne Jean Pauls.
     
    Es ist noch ähnlicher als ein Gleichnis, wenn man das Romantische das wogende Aussummen einer Saite oder Glocke nennt, in welchem die Tonwoge wie in immer ferneren Weiten verschwimmt und endlich sich verliert in uns selber und, obwohl außen schon still, noch immer lautet. Ebenso ist der Mondschein zugleich romantisches Bild und Beispiel. Den scharf umgrenzenden Griechen lag das Zweifellicht des Romantischen so fern und fremd, daß sogar Platon, so sehr Dichter und so nahe der christlichen Erhebung, den wahrhaft romantischunendlichen Stoff, das Verhältnis unserer dürftigen Endlichkeit zum Glanzsaale und Sternenhimmel der Unendlichkeit, bloß durch die eng und eckig abgeschnittene Allegorie einer Höhle ausspricht, aus welcher wir Angeketteten die Schattenreihe der wahren Wesen, die hinter uns ziehen, vorübergehen sehen.
    Ist Dichten Weissagen: so ist romantisches das Ahnen einer größern Zukunft, als hienieden Raum hat; die romantischen Blüten schwimmen um uns, wie nie gesehene Samenarten durch das allverbindende Meer aus der neuen Welt, noch ehe sie gefunden war, an Norwegens Strand anschwammen. 28
     
    An Gott, Engel oder die Unsterblichkeit mag man glauben oder nicht. Geboren worden zu sein und zu sterben jedoch sind die beiden Phänomene, die aus Raum und Zeit hinausführen und zugleich in Raum und Zeit geschehen. Sie sind die beiden Phänomene, die mit absoluter Gewißheit geschehen und von denen wir mit absoluter Gewißheit nie auf Erden erfahren, wie sie waren oder sein werden. Sie sind das Hilfsverb zwischen Ich und Gott, einmal Präteritum, einmal Futur. Was vor und nach dem Leben ist, können nur die Ungeborenen und die Toten wissen – falls etwas vor und nach dem Leben ist. Nicht einmal mit der Gewißheit können sich die Lebenden beruhigen, daß nichts war, nichts sein wird und somit – spätestens im Angesicht des bestirnten Himmels – bei aller Aufregung auch nichts ist. Was Jean Paul romantisch nennt, gründet im, man könnte

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