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Über den Zufall - Jean Paul, Hölderlin und der Roman, den ich schreibe

Titel: Über den Zufall - Jean Paul, Hölderlin und der Roman, den ich schreibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Endlichkeit« der Beweggrund seiner Dichtung als einer metaphysischen Revolte deutlich.
     
    Im 12ten Jahrhundert zeigte man noch den nachgelassenen Misthaufen, worauf Hiob geduldet hatte,
     
    sagt der Armenadvokat Firmian Stanislaus Siebenkäs über seine kümmerliche Ehe mit Lenette.
     
    Unsere zwei Sessel sind die Misthaufen und sind annoch zu sehen. 31
     
    Es gehört zum Eigentümlichen Jean Pauls, daß er Hiob in die kleinbürgerliche Wohnstube verlegt, das Leiden der Menschheit nicht im Krieg, im Hunger oder inmitten der Naturgewalten zeigt, sondern in dem denkbar gewöhnlichsten, ruhigsten Alltag zweier eigentlich sympathischer Eheleute, die von außen betrachtet so gut und schlecht zueinander passen wie andere Eheleute auch. Wenn Firmians und Lenettes Sessel der nachgelassene Misthaufen sind, worauf Hiob geduldet, sind es alle Klappstühle der Welt. Gegen Ende des Siebenkäs steht ein Monolog Leihgebers am Bett des scheintoten Firmian Siebenkäs, in dem Jean Paul alle Ironie fahren läßt und alle Sprachgewalt aufbietet, um unnachahmlich ins Stottern zu geraten im Zustand des Schocks: Wieso stirbt jemand einfach so? Wenn der Tod ohne Grund ist, muß es auch das Leben sein.
     
    Du armer Firmian, war denn deine Lebens-Partie à la guerre der Lichter und der Mühe wert? Zwar wir sind nicht die Spieler , sondern die Spielsachen , und unsern Kopf und unser Herz stößet der alte Tod als einen Ball über die grünende Billardtafel in den Leichensack hinunter, und es klingelt mit der Totenglocke, wenn einer von uns gemacht wird. Du lebst zwar in einem gewissen Sinne noch fort – wenn anders das Freskogemälde aus Ideen ohne Schaden von dem zerfallenden Körper-Gemäuer abzunehmen ist –, o es möge dir da in deinem Postskript-Leben besser ergehen – Was ists aber? Es wird auch aus – jedes Leben, auf jeder Weltkugel, brennet einmal aus – die Planeten alle haben nur Kruggerechtigkeit und können niemand beherbergen , sondern schenken uns einmal ein, Quittenwein Johannisbeersaft – gebrannte Wasser – meistens aber Gurgelwasser von Labewein, das man nicht hinunterbringt, oder gar sympathetische Dinte (d. i. liquor probatorius), Schlaftränke und Beizen – dann ziehet man weiter, von einer Planeten-Schenke in die andere, und reiset so aus einem Jahrtausend ins andere – o du guter Gott, wohin denn, wohin, wohin? – Inzwischen war doch die Erde der elendeste Krug, wo meistens Bettelgesindel, Spitzbuben und Deserteure einkehren, und wo man die besten Freuden nur fünf Schritte davon, entweder im Gedächtnis oder in der Phantasie genießen kann, und wo man, wenn man diese Rosen wie andere anbeißet, statt anzuriechen und statt des Dufts das Blättermus verschluckt, wo man nichts davon hat als sedes . . . O es gehe dir, du Ruhiger, in andern Tavernen besser, als es dir gegangen ist, und irgendein Restaurateur des Lebens mache dir ein Weinhaus auf statt des vorigen Weinessighauses! 32
     
    Am vergangenen Dienstag sprach ich über die Entdeckung Jean Pauls und des Kindes, daß Ich ein Ich ist. Wer »ich« zu sagen lernt, lernt, sich wichtig zu nehmen. Das ist nicht selbstverständlich. Die Verhaltensforschung bestätigt die Erfahrung aller Eltern, daß neben dem physischen Wohlergehen nichts notwendiger für ein Baby ist als die Erfahrung, geliebt zu werden. Um sich wichtig nehmen zu können, muß das Baby von anderen zunächst wichtig genommen werden, als gäbe es keinen Gott außer ihm. Daß alle andere sich genauso wichtig nehmen, wie das Kind bald merkt, relativiert die eigene Bedeutung, aber negiert sie noch nicht – dann eben jeder ein Gott. Einschneidend ist vielmehr die Erfahrung der Ohnmacht, zunächst angesichts der Eltern, die das Kind zu erziehen beginnen, der Mitmenschen, der physischen Umgebung, später angesichts des Zufalls, dem der stärkste Wille nicht beikommt, und fundamental angesichts des Todes, der die Zukunft des Menschen nicht mehr nur bestimmt, sondern ein für allemal beendet. So zwingend es für den Menschen ist zu lernen, daß er ein Ich ist, so schwer fällt es ihm, sich damit abzufinden, daß er keines mehr sein wird. Jean Paul findet sich nicht ab. Keine andere Poetik schreibt der Dichtung so explizit die Aufgabe zu, das Ich, jedes Ich, über seine Vernichtung hinaus zu behaupten wie Die Vorschule der Ästhetik :
     
    Gibt es denn nicht Nachrichten, welche uns nur auf Dichter-Flügeln kommen können; gibt es nicht eine Natur, welche nur dann ist, wenn der Mensch nicht ist, und

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