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Über Gott und die Welt

Über Gott und die Welt

Titel: Über Gott und die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Barbarei.« Es versteht sich, daß der auf eine Eins erpichte Schüler vor allem die Lebhaftigkeit der Farben und die orientalischen Einfl üsse unterstreicht und ein Ergebnis liefert, das mehr Othello als Marco Polo gefällt. Was die Innenausstattung betrifft, so gibt es kein Zögern: Wir sind im Hotel Danieli. Der Architekt Dwight James Baum ist es wert (im Sinne von »verdient es«, wie Eichmann), in die Geschichte einzu-gehen. Auch weil er, unzufrieden mit dem Danieli, noch übertrieben hat. Er hat einen unbekannten Dekorateur aus Ungarn beauf-tragt, eine Kassettendecke im Stil einer Corpsstudentenfrotzelei auszumalen, er hat verschwenderisch Terrakotten verstreut, Gondeln auf der Lagune, Gläser à la Murano in Blau und Rosa und Amethyst, doch sicherheitshalber hat er das Ganze noch ausstaffi ert mit fl ämischen und englischen Tapisserien, französischen Pfeilerspiegeln, Jugendstil-Nippes, Empire-Stühlen, Louis-Quinze-Betten, Marmorfi guren aus echtem Carrara (mit Gütesiegel), angefertigt wie üblich von extra aus Venedig herbei-geholten Skulpteuren, und obendrein hat er größte Sorgfalt darauf verwandt, daß die Bar eine gläserne Wandtäfelung aus Scheiben mit richtiger Bleifassung hat, die eigens importiert wurde – man beachte die archäologische Raffi nesse – aus dem Cicardi Winter Palace in Saint Louis, was nun wahrhaft, seien wir ehrlich, der Gipfel des guten Willens ist. Auch hier gibt es zahlreiche echte Stücke, die Sotheby zur Ehre gereichen würden, aber was überwiegt, ist das mit dreister Phantasie imitierte Verbindungsgefüge, obwohl erklärende Beischriften sich bemühen, das Echte als echt zu etikettieren, was bis zur frommen Bürokrateneinfalt gehen kann, etwa wenn eine holländische Porzellanuhr in Form einer mittelalterlichen Burg mit einem Schildchen versehen ist, das da lautet: »Dutch, circa 1900?«
    Über allem thronen, in Öl gemalt, die ehrwürdigen Besitzer John und Marble Ringling, glücklich verstorben und der Geschichte anvertraut. Denn der primäre Zweck dieser Wilden Vittorialen (wie aller Vittorialen) ist nicht so sehr, daß in ihnen gelebt werden kann, sondern daß sie den Nachkommen deutlich machen, wie außergewöhnlich jene gewesen sein müssen, die einst darin lebten – und offen gesagt bedarf es außergewöhnlicher Gaben, starker Nerven und einer großen Liebe sowohl zur Vergangenheit als auch zur Zukunft, um in solchen Räumen zu leben, Liebe zu machen, aufs Klo zu gehen, einen Hamburger zu verzehren, Zeitung zu lesen und sich den Hosenstall zuzuknöpfen. Beherrschend in diesen eklektischen Rekonstruktionen ist ein ausgeprägt schlechtes Gewissen ihrer Erbauer über die Anhäufung ihres Reichtums mit Methoden, die weniger nobel sind als die Architektur, die ihn krönt, ein starker Wille zum Sühneopfer, ein Streben nach Absolution in den Augen der Nachwelt.
    Andererseits fällt es schwer, über diese pathetischen
    Loskaufversuche mit scharfrichterlicher Ironie herzufallen, denn schließlich hat es andere Potentaten gegeben, die sich durch das Nürnberger Reichsparteitagsgelände oder das Foro Mussolini verewigen wollten, und es liegt etwas Rührendes in diesem hilfl osen Streben nach Ruhm durch Bekundung einer nicht erwiderten Liebe zur europäischen Vergangenheit. Man ist versucht, den armen geschichtslosen Millionär zu bedauern, der da in seinem Bemühen, Europa in gottverlassenen Sumpfwäldern und Savannen nachzubauen, diese als authentische Sumpfwälder und Savannen zerstört, um sie zu nichtexistenten Lagunen zu machen. Dennoch ist klar, daß dieses Sichanschmiegen an die Geschichte, mag es auch noch so pathetisch sein, nicht zu recht-fertigen ist, denn Geschichte läßt sich nicht imitieren, sondern nur machen, und das architektonisch bessere Amerika zeigt, daß es möglich ist.
    Die Gegend um Wall Street in New York besteht aus
    Wolkenkratzern, neugotischen Kathedralen, antikisierenden Tempeln und Grundstrukturen in Würfelform. Ihre Erbauer waren nicht weniger kühn als die Ringlings und Hearsts, man fi ndet hier sogar einen Palazzo Strozzi, Sitz der Reserve Bank of New York, komplett mit Bossenquadern und allem. Errichtet 1924 aus
    »Indian limestone and Ohio sandstone«, beginnt er unten wie in Florenz, beendet die Renaissance-Imitation korrekt nach der zweiten Etage, geht weiter mit acht Phantasie-Etagen, krönt sie mit einem weifi schen Zinnenkranz und beginnt dann erneut als Wolkenkratzer. Dennoch wirkt das Ganze nicht störend, denn die Südspitze

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