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Über Gott und die Welt

Über Gott und die Welt

Titel: Über Gott und die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Tortilla Flat und den Los Padres National Forest hinter sich hat, nach einer Kurvenfahrt über Klippen, die an Amalfi und Capri erinnern, erhebt sich, wo der Pacifi c Highway ins Tal hinunter nach Santa Barbara führt, auf dem sanften mediterranen Hügel von San Simeón das Schloß des William Randolph Hearst. Des Reisenden Herz schlägt hö-
    her, denn dies ist das »Xanadu« Citizen Kanes, wo Orson Welles seinen Helden leben und sterben ließ, den er explizit nach dem großen Zeitungsmagnaten gestaltet hatte, dem Ahnherrn der unseligen Symbionesin Patricia.
    Auf den Gipfel der Macht und des Reichtums gelangt, erbaute sich Hearst hier oben seine private Festung der Einsamkeit,
    »eine Kombination aus Palast und Museum, wie man sie seit den Tagen der Medici nicht mehr gesehen hat«, nannte sie spä-
    ter ein Biograph. Wie in einem Film von René Clair (doch die Wirklichkeit übertrifft hier bei weitem jede Fiktion) erwarb er stückweise oder im ganzen europäische Schlösser, Abteien und Klöster, ließ sie demontieren und Stein für Stein numerieren, über den Ozean expedieren und hier auf dem Zauberhügel wieder zusammenbauen, inmitten freilebender wilder Tiere. Da er kein Museum haben wollte, sondern einen Renaissance-Palast, ließ er die echten Stücke mit kühnen Imitationen vervollständigen, ohne sich um die Unterscheidung von Original und moderner Kopie zu kümmern. Unbändige Sammlerwut, der schlechte Geschmack des Neureichen und Prestigesucht trieben ihn zu einer Nivellierung der Vergangenheit auf das zu lebende Heute, das ihm jedoch als lebenswert nur erschien, wenn es garantiert »wie früher« war.
    Zwischen echten römischen Sarkophagen und exotischen
    Pfl anzen, über nachgebaute barocke Treppen, kommt man zunächst in »Neptune’s Piscina«, einen griechisch-römischen Phantasietempel voller Statuen im antiken Stil, darunter (wie der Führer mit unerschrockener Treuherzigkeit vermerkt) die berühmte Venus, schaumgeboren dem Wasser entsteigend,
    skulpiert um 1930 von einem italienischen Bildhauer namens Cassou. Alsdann gelangt man zur »Casa Grande«. Die Casa Grande ist eine Kathedrale im spanisch-mexikanischen Stil mit zwei Türmen (bestückt mit sechsunddreißig Glocken als Carillon). Ihr Portal umfaßt ein schmiedeeisernes Gitter aus einem spanischen Kloster des 16. Jahrhunderts, darüber erhebt sich ein Tympanon mit Madonna und Kind. Den Boden der
    Vorhalle ziert ein pompejanisches Mosaik, an den Wänden ringsum hängen Gobelins, die Tür zum Versammlungssaal ist von Sansovino, der Saal ist nachgebildete Renaissance, präsentiert als »italo-französisch«. Eine Reihe von Chorstühlen kommt aus einem italienischen Kloster (Hearsts Abgesandte haben die verstreuten Teile in diversen europäischen Antiquitätenläden zu-sammengekauft), die Tapisserien sind fl ämisches Hochbarock, die Objekte – echt oder falsch – sind aus diversen Epochen, vier Medaillons stammen von Thorvaldsen. Der Speisesaal hat eine italienische Decke »von vor vierhundert Jahren«, an den Wänden hängen Fahnen »einer alten Familie aus Siena«. Im Schlafzimmer steht das echte Bett Richelieus, der Billardsaal hat eine gotische Tapisserie, der Kinosaal (in dem Hearst seine Gäste nötigte, jeden Abend die von ihm produzierten Filme zu sehen, während er selbst in der ersten Reihe saß, neben sich ein Telefon, das ihn mit der ganzen Welt verband) ist von oben bis unten altägyptisch mit einem Schuß Empire, die Bibliothek hat eine weitere italienische Decke, das Arbeitszimmer kopiert eine gotische Krypta, gotisch sind auch (diesmal echt) die Kamine in den verschiedenen Sälen, und der überdachte Swimmingpool realisiert eine Mischung aus Alhambra, Pariser Metro und Pissoir eines Kalifen, nur noch majestätischer.
    Das Frappierende an diesem Sammelsurium ist jedoch nicht die Vielzahl der in halb Europa zusammengerafften Antiquitäten, auch nicht die Sorglosigkeit, in welcher das artifi zielle Gefüge die Fälschung übergangslos mit dem Echten verbindet, sondern der Eindruck von Fülle, der besessene Wille, nirgendwo einen Fleck zu lassen, der nicht an irgend etwas erinnert, und folglich das Meisterwerk einer vom Horror vacui besessenen Bastelei, die Unwohnlichkeit, die aus der überdrehten Abundanz resultiert – wie die Ungenießbarkeit jener Gerichte, die viele der
    »feineren« amerikanischen Restaurants (in schummriges Dunkel gehüllt und holzgetäfelt, von weichen roten Lichtern punktiert und von unaufhörlicher Barmusik

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