Über Gott und die Welt
von Zirkus und magischer Suggestion. Die erklärenden Beischriften sind durchdrungen von Skepsis und Sinn für Humor, wenn eine Episode legendär ist, wird sie als solche bezeichnet, allenfalls mit dem Eingeständnis, daß es amüsanter war, die Legende zu rekonstruieren statt der Geschichte. Der Sinn für Geschichte erlaubt den Verzicht auf Hyperrealität: Napoleon, der in der Badewanne sitzend den Verkauf Louisianas erörtert, müßte nach den Berichten der zeitgenössischen Chroniken aufgeregt aus dem Wasser springen und die Umstehenden bespritzen, doch das Museum erklärt dem Betrachter, da die Kostüme sehr teuer gewesen seien, habe man auf totale Wirklichkeitsnähe verzichten müssen, und bittet dafür um Entschuldigung. Die Wachsfi guren spielen auf eine Legende an, die ihre Spuren in den Straßen ringsum hinterlassen hat: die Kolonialzeit, die Aristokraten, die schönen Kreolinnen, die Prostituierten, die Messerstecher, die Piraten, die Glücksspieler auf den Flußdampfern, die Entstehung des Jazz … und die Kanadier, die Spanier, die Franzosen, die Engländer. New Orleans leidet nicht an der Neurose einer negierten Vergangenheit, es verschenkt Erinnerungen mit der Leichtfertigkeit eines großen Herrn und hat es nicht nötig, dem real thing nachzujagen.
Der krampfhafte Wunsch nach dem Quasi-Echten entsteht
immer nur als neurotische Reaktion auf Erinnerungsleere. Das absolut Falsche ist ein Kind des unglücklichen Bewußtseins einer Gegenwart ohne Substanz.
Die Klöster des Heils
Das Mäzenatentum in Kalifornien und in Florida hat gezeigt, daß man, um D’Annunzio zu sein (und ihn zu schlagen), keinen Dichterkranz braucht, es genügen ein Haufen Geld und ein ehrlich gläubiger allesfressender Synkretismus. Bleibt zu fragen, ob Amerika, wenn es sich der Vergangenheit in mäzenatischer Weise nähert, immer unter dem Zeichen der Raffgier und des zusam-menstoppelnden Bastelns vorgeht. Also sind weitere Stichproben nötig, doch da unsere Reise der Suche nach dem Absolut Falschen gilt, bleiben die philologisch korrekten Sammlungen, in denen be-rühmte Kunstwerke ohne jedwede Zutat einfach nur aneinandergereiht werden, außer Betracht. Was wir suchen, sind Grenzfälle, Nahtstellen zwischen Archäologie und Fälschung. Und in dieser Hinsicht ist Kalifornien wirklich noch immer das Goldland.
Die Augen (und Nerven) gesättigt von all den Wachsmuseen, vom Schloß des Citizen Kane und vom Madonna Inn, nähern wir uns dem Paul Getty Museum in Malibu, an der kalifornischen Küste gleich hinter Santa Monica, voller Mißtrauen. Die schö-
ne und sensible Kunsthistorikerin (Frau eines Kollegen an der Universität von Los Angeles), die mich in die Geheimnisse des Museums einführt und mir dadurch die Benutzung des Walkmans erspart, der den Besuchern zur Verfügung gestellt wird, ist voller Scham. Sie weiß, warum ich gekommen bin, was ich hinter mir habe, sie fürchtet meinen Spott, sie zeigt mir die Säle voller Kostbarkeiten, von Raffael, Tizian, Paolo Uccello und Veronese über Magnasco, Georges de La Tour und Poussin bis zu Alma-Tadema, sie wundert sich über die gelangweilte Art, in der ich –
nach Tagen voll wächserner Abendmahle und praller Modelle der Venus von Milo – zerstreute Blicke auf diese bläßlich-authentischen Bilder werfe. Sie führt mich durch die erlesene Sammlung antiker Skulpturen, sie zeigt mir die Restauratorenwerkstatt, wo man den Neuerwerbungen mit wissenschaftlicher Akribie und philologischer Unerbittlichkeit die in der Barockzeit angefügten Nasen wegoperiert, denn die Philosophie des Museums ist streng, gelehrt, auf grimmige Weise deutsch, und Paul Getty hat sich effektiv als ein gebildeter, kunstsinniger Mäzen erwiesen, der dem kalifornischen Publikum ausschließlich Werke von unbestrittenem Wert und garantierter Echtheit zeigen wollte.
Doch meine Beatrice ist schüchtern und entschuldigt sich, weil wir, um zu den inneren Sälen zu gelangen, durch zwei große Gärten und ein luftiges Peristyl gehen mußten. Wir sind durch die Papyrus-Villa von Herculaneum gegangen, die vollständig rekonstruiert worden ist, mit ihren Kolonnaden, den pompejanischen Wandmalereien, unbeschädigt und leuchtend, dem strah-lenden Weiß der Marmorfi guren, den Statuen draußen im Garten, der nur Pfl anzen enthält, die am Golf von Neapel wachsen. Wir sind durch etwas gegangen, das mehr ist als die Papyrus-Villa, denn die Papyrus-Villa ist unvollständig, halb verschüttet, eine Vorspiegelung von römischer
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