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Über Gott und die Welt

Über Gott und die Welt

Titel: Über Gott und die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Variante der afrikanischen Kulte, und er hat klar gezeigt, daß er die bestehende Ordnung gehorsam und unterwürfi g hinnimmt.
    Der Candomblé hingegen (dies sagt mir der Pai-de-santo nicht, aber ich weiß es) ist unter den Negersklaven als Suche nach der eigenen kulturellen Identität entstanden, er ist Ausdruck einer Revolte oder jedenfalls einer bewußten und stolzen religiös-kulturellen Selbst-Ghettoisierung – weshalb er auch lange verfolgt wurde, in Pernambuco erzählt man sich von einem Polizeichef, der noch in den dreißiger Jahren die Ohren und Hände sammelte, die er diesen gottverdammten Fetischisten, wenn er sie verhaftete, abschneiden ließ.
    Die Geschichte der diversen Kulte ist sehr verworren (die einschlägige Literatur umfaßt mehrere hundert Titel), ich will hier nicht versuchen, ein dunkles Kapitel brasilianischer Ethnologie zu erhellen, ich zähle nur ein paar Anhaltspunkte auf. 1888 wird die Sklaverei durch das Gesetz Rui Barbosa (das sogenannte
    »goldene«) abgeschafft, aber die ehemaligen Sklaven erhalten keinen »regenierten« sozialen Status. Im Gegenteil, 1890 wird im Zuge eines schwachen Versuchs, die Sklaverei als Stigma ab-zuschaffen, die Verbrennung aller Archive des Sklavenhandels befohlen. Eine scheinheilige Idee, denn nun haben die Sklaven keinerlei Möglichkeit mehr, ihre Geschichte zu rekonstruieren und ihre Ursprünge zu erforschen, sie werden formal freie Bürger, aber Bürger ohne Vergangenheit. Kein Wunder also, daß gegen Ende des Jahrhunderts die Kulte sich festigen, sich formalisieren und offen hervortreten, da die Schwarzen mangels familiärer
    »Wurzeln« ihre kulturelle Identität nun auf religiösem Wege zu rekonstruieren versuchen. Bemerkenswert ist allerdings, daß ausgerechnet zur Zeit des Positivismus, entfl ammt von spiri-tistischen Theorien aus Europa, weiße Intellektuelle die Kulte der Schwarzen beeinfl ussen und sie schrittweise dazu bringen, die Prinzipien des idealistischen Spiritualismus à la Kardec zu übernehmen. Ähnliche Phänomene haben sich auch in der europäischen Geschichte zugetragen: Wann immer Formen von revolutionärem Millenarismus aufkamen, waren die offi ziellen Kirchen bestrebt, sie in gemäßigte und kultiviertere Formen von Millenarismus umzuwandeln, in solche, die sich auf Hoffnung gründen und nicht auf Gewalt. Es ließe sich also denken, daß die Riten des Candomblé sozusagen als Kerne von »hartem«
    Millenarismus inmitten der eher verwässerten und entschärften Umbanda-Riten überleben. Doch darüber kann ich mit dem Pai-de-santo nicht sprechen. Ich erhalte eine (zweideutige) Antwort, als wir in den Garten hinausgehen, um die Häuser der Orixà zu besuchen.
    Während ein Schwarm junger Mädchen, meist Schwarze,
    rituell als Bahianerinnen gekleidet, fröhlich lachend die letzten Vorbereitungen trifft, empfängt uns ein älterer Herr, ganz in Weiß von der Mütze bis zu den Schuhen (denn es ist der Monat des Oxalà, der durch diese Farbe symbolisiert wird), und führt uns im Garten umher. Er stammt aus Italien, aber sein Italienisch ist nicht mehr sehr gut, er ist nach dem Krieg herübergekommen (ich bin immer mißtrauisch gegenüber Landsleuten, die kurz nach dem Krieg hierher emigriert sind – und tatsächlich spricht er von Abenteuern in Ostafrika und von Marschall Graziani). Er hat viel durchgemacht, er hat alle Religionen ausprobiert, jetzt hat er Frieden gefunden: »Wenn man mir sagen würde, daß die Welt genau hier auseinanderbricht (er zeigt mit dem Finger vor sich auf den Boden), würde ich bloß ein bißchen da rübergehen.«
    Die Häuser der Orixà, die sich in dem weitläufi gen Garten verteilen wie bei uns die Kapellen auf einem Sacro Monte, tragen außen das Bild des katholischen Heiligen, der mit dem jeweiligen Bewohner synkretistisch gleichgesetzt wird. Innen sind sie eine Symphonie von grellbunten Farben, Ergebnis der Blumenpracht, der bemalten Figuren und sogar der frisch zubereiteten Speisen, die den Göttern dargebracht werden: weiß für Oxalà, blau und rosa für Yemanjà, rot und weiß für Xangò, goldgelb für Ogùn usw. Eintreten darf man nur, wenn man ein Initiierter ist; man kniet nieder und küßt die Schwelle, faßt sich mit einer Hand an die Stirn und hinter das rechte Ohr … Na schön, aber wie jetzt, frage ich, Yemanjà, die Göttin des Wassers und der Fortpfl anzung, ist sie nun oder ist sie nicht Nossa Senhora da Conceiçao, Unsere Liebe Frau der Empfängnis? Und Xangò, ist er nun oder ist er

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