Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Über Gott und die Welt

Über Gott und die Welt

Titel: Über Gott und die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
Vom Netzwerk:
nicht Sankt Hieronymus? Und Ogùn, warum habe ich ihn in Bahia als Sankt Antonius synkretisiert gesehen und in Rio als Sankt Georg, während es hier das Haus von Oxossi ist, in dem der heilige Georg erscheint, glänzend im blaugrünen Mantel und bereit, den Drachen mit seinem Speer zu durchbohren? Ich glaube, die Antwort bereits zu kennen, vor Jahren sagte mir ein katholischer Sakristan in Bahia: Man weiß doch, wie naiv die Armen sind, um sie dazu zu bringen, daß sie zum heiligen Georg beten, muß man ihnen sagen, er sei genau wie Oxossi. Doch mein Begleiter gibt mir die umgekehrte Antwort: Man weiß doch, wie das Volk ist, um es dazu zu bringen, die Realität und die Kraft von Oxossi anzuerkennen, muß man es glauben lassen, er sei der heilige Georg. Kein Zweifel, Candomblé ist eine sehr alte und weise Religion.
    Aber jetzt fängt der Ritus an. Der Pai-de-santo entzündet die Räucherstäbchen, die Trommler beginnen ihr hypnotisierendes Trommeln, während ein Sänger die Pontos anstimmt, rituelle Strophen, die im Chor von den Initiierten gesungen werden.
    Die Initiierten sind großenteils Frauen, und das vorbereitete Medium, das während des Tanzes von einem Orixà besucht werden wird, ist eine Filha-de-santo. Es gibt zwar seit langem auch männliche Initiierte, aber die mediale Gabe ist anscheinend noch immer ein Privileg der Frauen. In Bahia besuche ich zwei Wochen später einen vierhundert Jahre alten Terreiro und werde von einer Mae-de-santo oder Ialorixà empfangen, einer Dame von der Gesetztheit und Würde einer Äbtissin. Frauen dieser Art waren prägend für das kulturelle und soziale Leben in Salvador, der Hauptstadt Bahias, und Schriftsteller wie Jorge Amado sprechen von ihnen mit liebevollem Respekt. Hier in São Paulo sind unter den Frauen auch einige Weiße. Man zeigt mir eine Blondine, sie ist eine deutsche Psychologin: Sie tanzt in hektischem Rhythmus, den Blick ins Leere gerichtet, allmählich gerät sie ins Schwitzen, verzweifelt bemüht, in Trance zu fallen.
    Es gelingt ihr nicht, bis zum Ende, sie ist noch nicht reif für die Umarmung der Götter. Als die anderen Filhas-de-santo schon in Ekstase sind, sehe ich sie noch im Hintergrund tanzen, fast weinend, aufgelöst, krampfhaft bemüht, die Kontrolle über sich zu verlieren im Rhythmus der Atabaques, der heiligen Trommler mit der Macht, die Orixà herbeizurufen. Unterdessen vollziehen viele der Initiierten, eine nach der anderen, ihren physisch-mystischen Sprung: Man sieht sie plötzlich erstarren, ihr Blick wird stumpf, sie bewegen sich automatisch. Je nachdem, welcher Orixà sie besucht, zelebrieren ihre Bewegungen seine spezielle Natur und Macht: weich und fl ießend, die Hände mit den Flächen nach unten seitwärts rudernd wie beim Schwimmen, wenn Yemanjà sich ihrer bemächtigt, gebückt und langsam, wenn es Oxalà ist, und so weiter (im Umbanda bewegt man sich, wenn Exù kommt, mit nervösen und hektischen Zuckungen). Diejenigen, die Oxalà empfangen haben, werden hinterher in besondere Schleier gehüllt, denn besonders groß war ihr Glück.
    In unserer Gruppe ist eine Fünfzehnjährige aus Europa, mit ihren Eltern. Sie hatten ihr gesagt, wenn sie mitkommen wolle, müsse sie aufmerksam alles verfolgen, mit Neugier und Respekt, aber auch mit Distanz, indem sie mit den anderen darüber rede, ohne sich allzusehr fesseln zu lassen. Denn wenn Pythagoras recht hatte, kann die Musik mit uns machen, was sie will, ich habe andere Male erlebt, wie ungläubige, aber für Suggestionen besonders empfängliche Zuschauer reihenweise in Trance fi elen. Dem Mädchen tritt der Schweiß auf die Stirn, ihm wird übel, es möchte raus. Der weißgekleidete Italiener ist sofort zur Stelle, spricht mit den Eltern und sagt, sie sollten die Kleine ein paar Wochen dalassen: Sie habe eindeutig mediale Fähigkeiten, sie habe positiv auf Ogùn reagiert, man müsse das pfl egen. Die Kleine will weg, die Eltern sind entsetzt. Sie hat das Mysterium der Beziehungen zwischen Körper, Naturkräften und Betörungstechniken gestreift.
    Jetzt schämt sie sich und glaubt, einer Täuschung zum Opfer gefallen zu sein. In der Schule wird sie später von dionysischen Riten hören, aber vielleicht wird sie nie begreifen, daß sie einen Moment lang selber eine Mänade war.
    Der Ritus ist beendet, wir verabschieden uns von dem Pai-de-santo. Ich frage ihn, wessen Orixà Kind ich sei. Er schaut mir in die Augen, prüft meine Handlinien und sagt schließlich: »Oxalà.«
    Ich scherze

Weitere Kostenlose Bücher