Über Gott und die Welt
afrikanischen Gottheiten und das christliche Pantheon aufzunehmen vermag, ist Toleranz die Norm, ja geradezu die Essenz des Synkretismus. Tatsächlich sehe ich an der hinteren Wand zwei Bilder, die mich verblüffen: die bunte Figur eines nackten Indios mit Federkrone und die eines alten weißgekleideten Negersklaven, der sitzend die Pfeife raucht. Ich erkenne sie, es sind ein Caboclo und ein Preto velho, Geister Verstorbener, die eine wichtige Rolle im Umbanda-Kult spielen, aber nicht im Candomblé, der nur Beziehungen zu den höheren Gottheiten unterhält, zu den Orixà der afrikanischen Mythologie. Was tun sie dort, rechts und links neben einem großen Kruzifi x? Der Pai-de-santo erklärt mir, es handle sich um eine Art Hommage: Der Candomblé »benutze«
sie nicht, aber er denke gar nicht daran, ihre Präsenz und ihre Macht zu leugnen.
Dasselbe geschieht mit Exù. Im Umbanda-Kult wird er meist als ein Teufel gesehen (man fi ndet dort kleine Metallfi guren mit Hörnern und extrem langem Schwanz und Dreizack, oder auch große grellbunt bemalte Holz- oder Tonfi guren von abstoßendem Kitsch, Typ lasziver Nightclub-Teufel in Horrorfi lmen à la
»Mondo di notte«). Für den Candomblé ist er kein Teufel, sondern eine Art mittlerer Geist, ein degenerierter Merkur, Bote der höheren Geister, im Guten wie im Bösen. Er wird nicht verehrt, es wird nicht erwartet, daß er kommt, doch zu Beginn des Ritus beeilt sich der Pai-de-santo, mit einer enormen Zigarre (die er wie ein Räucherfaß schwenkt) die Lokalität zu reinigen, um den Exù höfl ich zu bitten, sich fernzuhalten und die Verrichtungen nicht zu stören. Als wollte er sagen: Jesus und Satan haben mit uns nichts zu tun, aber es empfi ehlt sich, gute Nachbarschaftsbe ziehungen zu unterhalten.
Wer wird im Candomblé verehrt? Die Orixà, die höheren
Götter der afrikanischen Religionen, der sudanesischen Nago-Yoruba oder der angolanischen und der kongolesischen Bantu, die mit den ersten Sklaven nach Brasilien kamen und sie seither nie wieder verlassen haben. Der große Ologun, Vater aller Götter, den man nicht darstellen kann, und Oxalà, den der synkretistische Volksglaube mit Jesus Christus gleichsetzt, besonders mit dem in Bahia verehrten Nosso Senhor de Bonfi m. Und andere, die noch zu nennen sein werden.
Da ich das Glück habe, mit einem sichtlich sehr gebildeten Pai-de-santo zu sprechen, stelle ich ihm sofort ein paar heikle Fragen, nicht ohne ihm zu versichern, daß meine Neugier lediglich theologischer und philosophischer Art sei. Diese Orixà, frage ich, sind das Personen oder Kräfte? Naturkräfte, präzisiert der Priester, kosmische Schwingungen, Wasser, Wind, Laub, Regenbogen. Aber wie kommt es dann, frage ich weiter, daß man von ihnen hier überall diese Figuren sieht und daß sie mit katholischen Heiligen gleichgesetzt werden, mit Sankt Georg oder mit Sankt Sebastian? Der Babalorixà lächelt und geht dazu über, von den tiefen Wurzeln des Kultes zu sprechen, Wurzeln auch in der jüdischen Religion und in noch wesentlich älteren, er sagt mir, daß der Candomblé das mosaische Gesetz akzeptiert.
Er lächelt erneut, als ich ihn auf die Riten der schwarzen Magie verweise, auf die berüchtigte Macumba, die bösartige Variante des Candomblé, die im Umbanda-Kult zum Quimbanda wird, in welchem Exù und seine Gefährtin, die laszive Pomba-Gira, sich der in Trance versetzten menschlichen Körper bemächtigen – also genau jene Riten, die man in Brasilien oft auch vor Fußballspielen praktiziert, indem man Hähne tötet, damit die Spieler der gegnerischen Mannschaft sterben oder krank werden.
Er lächelt wie ein Theologe der Gregorianischen Universität, der gebeten wird, sich über das Wunder von San Gennaro oder die weinenden Madonnenbilder zu äußern. Nie wird er etwas gegen den Volksglauben sagen, aber auch nie etwas zu seinen Gunsten.
Er lächelt, man weiß doch, wie die einfachen Leute sind. Gegen den Umbanda allerdings, nun ja, da ist manches zu sagen: ein junger Kult, in den dreißiger Jahren entstanden, ein Gemisch aus afrikanischen Religionen, Katholizismus, Okkultismus und kardezistischem Spiritismus, ein Produkt des französischen Positivismus. Leute, die an die Wiedergeburt glauben, bei denen die Initiierten in Trance von Geistern Verstorbener ergriffen werden (und von Pretos velhos und Caboclos), um sich dann auf Wahrsagerei zu verlegen und den Gläubigen Ratschläge zu erteilen. Der Umbanda ist die konservative und spiritistische
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