Ueber Gott und die Welt
Anti-Revolutionäre die eigentlichen Modernisten. Seine Kritik fasst er in den Satz: »Der Modernismus besteht darin, nicht zu glauben, was man glaubt.« In diesem Zustand darf der Mensch nicht mehr er selbst sein.
»Nicht glauben, was man glaubt« ist eine paradoxe Formulierung. Wie hat man sie zu verstehen?
Péguy meint Menschen, die sich zu etwas bekennen, das sie in Wirklichkeit nicht glauben. Ein Repräsentant dieser Einstellung ist der Begründer des Positivismus, Auguste Comte. Er schickte einen Abgesandten zum General des Jesuitenordens, um ihm ein Bündnis vorzuschlagen: Positivisten und Katholiken gegen den modernen Geist der Revolution, der Reformation und der Metaphysik, allen Formen individuellen Denkens, das sich nicht von den gesellschaftlichen Funktionen herleitet.
Comtes Abgesandter sagte sinngemäß: »Sie werden noch den Tag erleben, wo die jungen Positivisten bereit sind, für den Katholizismus zu sterben, so wie die Katholiken bereit sind, für Gott zu sterben.« Meine These vom »Ursprung der Soziologie aus dem Geist der Restauration«, konnte sich auch auf Péguys Kritik des Modernismus stützen. Dass die modernen Versuche, die Tradition wiederherzustellen, nihilistisch seien, hat er in die Worte gefasst: »… Man kann wörtlich sagen, dass diese Anhänger des Ancien Régime nur eine Idee haben, nämlich die, alles zu ruinieren, was wir an Schönem und Gesundem vom Ancien Régime behalten haben und was noch so beträchtlich ist.«
Ihre Dissertation erschien 1959. Hat Ihre These, die Soziologie entspringe dem Geist der Restauration, keine heftigen Abwehrreaktionen provoziert?
Nein, das Buch fand in Deutschland zunächst nur geringe Resonanz. Die These, nicht Karl Marx sei der eigentliche Theoretiker der modernen Gesellschaft, sondern Auguste Comte und indirekt de Bonald, regte damals niemanden auf. Dazu war de Bonald zu unbekannt.
Seit Franz von Baader, der im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts dessen Werk »Recherches philosophiques« aus dem Jahr 1818 lobend rezensierte und immerhin für Leser empfahl, die »mit dem Standpunkt der neueren deutschen Philosophie vertraut sind«, das hieß damals mit Hegel, hatte sich in Deutschland niemand ernsthaft mit dem Urheber der »Theorie der Gesellschaft« befasst.
Das änderte sich, als sich in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts politische Philosophen in Bologna und Turin für mein Buch interessierten und darüber diskutierten. Danach erweckte es Aufmerksamkeit in Italien, Spanien und Frankreich und wurde in diese drei Sprachen übersetzt.
Wie hat Ihr Doktorvater Joachim Ritter Ihre kritische Perspektive gegenüber der modernen Gesellschaft nach der Französischen Revolution aufgefasst?
Man kann es als ein Buch über mein Verhältnis zu Joachim Ritter lesen. Ob er es nicht gemerkt hat oder nicht bemerken wollte, kann ich nicht sagen. Das Thema kam nie zur Sprache. Eine Sachdiskussion fand nicht statt. Ritter – er hätte das Thema Funktionalismus aufnehmen und nach der Funktion des Funktionalismus fragen können – machte sein Gutachten und lobte die Arbeit. Im Februar 1952 bestand ich das Rigorosum.
Warum haben Sie nach diesem Abschluss die Universität verlassen und keine akademische Karriere angestrebt?
Mit 24 Jahren war ich der Ansicht, nicht mein ganzes Leben nur an der Universität zubringen zu sollen. Wenigstens für eine gewisse Zeit wollte ich »in die Welt hinaus«.
Sie haben sich in dieser Zeit mit Cordelia Steiner verheiratet. Wann haben Sie sie kennengelernt?
Im Jahr 1944. Sie war von Berlin nach Westfalen gekommen. Ihre Mutter, eine Jüdin, starb kurz zuvor. Die Situation in Berlin hatte sich für Cordelia gefährlich geändert. Darum suchte sie ihre Tante in Westfalen auf, die konvertiert und dem Orden der Ursulinen beigetreten war. Dort fand sie Unterschlupf. Zufällig war das Haus der Ursulinen, in dem beide lebten, in unserer Nachbarschaft, wodurch wir uns kennenlernten.
Unser Verhältnis hat sich ganz allmählich entwickelt. Es begann mit gemeinsamem Musizieren und Gesprächen über Bücher, die uns beschäftigten. Wir fingen an, den kurzen Roman des 20-jährigen Radiguet zu übersetzen: »Le Bal du Comte d’Orgel«. Sie schrieb Rundfunk-Features, Essays,volkskundliche und liedgeschichtliche Aufsätze, Liedertexte und Gedichte. Erst sehr viel später kamen wir auf die Idee, zu heiraten. Die Hochzeit fand dann nach Abgabe meiner Doktorarbeit und vor dem Rigorosum statt. Wir haben drei Kinder. Cordelia starb am
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