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Ueber Gott und die Welt

Ueber Gott und die Welt

Titel: Ueber Gott und die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Spaemann
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dieser Beziehung muss ich einem anderen Lebendigen zubilligen, etwas zu sein jenseits des Begriffs, den ich von ihm habe. Beim Menschen ist dieses Verhältnis klar. Wenn ich mit einem Menschen zusammenlebe und ein bestimmtes Bild von ihm habe, muss ich es ändern, wenn ich an ihm Seiten entdecke, die ich noch gar nicht kannte.
    Und dennoch weiß ich, es gibt etwas an ihm jenseits aller Bilder, die ich mir von ihm mache, was nie zum Bild wird: Das ist er selbst. Und jenseits dessen, was sich meinem Blick darbietet, bin ich jemand, der angeschaut wird von ihm. Das Sein des Menschen ist jenseits des Gedacht-Werdens und kann als das Jenseits des Gedacht-Werdens doch wieder gedacht werden.
    Sie verweisen in Ihren Texten oft auf den Fall, dass das Subjekt zum Objekt wird. Dabei spielt die Erinnerung eine Rolle. Sehe ich das richtig?
    Ich versuche mir klarzumachen, was Zeit heißt. Der Gang der Zeit, in dem ich mir immer sogleich zur Vergangenheit werde, wird durch Erinnerung zum Prozess der Selbstobjektivierung. In der Erinnerung werde ich mir objektiv. Vergangene Schmerzen kann ich erinnern. Dabei tun sie mir jetzt nicht mehr weh. Und doch sind sie
meine
Schmerzen und nicht die eines anderen. In diesem Prozess der Selbstobjektivierung entsteht Zeit.

KAPITEL 7
DAS BEWUSSTSEIN DER ZEIT …
    … aus einem Horizont begreifen, der nicht durch dieses Bewusstsein definiert ist
    Neben Ihren naturphilosophischen Interessen spielte in Ihrer Münchner Zeit die praktische Philosophie keine geringe Rolle. Ihre Aufsatzsammlung »Kritik der politischen Utopie« bezog sich vor allem auf Themen der Ethik und Politik. Sie behandelten in diesem Zusammenhang Platon und Aristoteles. Zählen Sie sich zu den Protagonisten einer Rehabilitierung der praktischen Philosophie?
    Ja, aber mit etlichen anderen. Eigentlicher Initiator war Joachim Ritter. Praktische Philosophie stand gar nicht auf meinem Programm. Ich hing ja zunächst der Heidegger’schen Geringschätzung der Ethik an. Dass ich mich dann doch mit ethischen und politischen Themen beschäftigte, hat sich ergeben. Es waren die Herausforderungen der Zeit. Sie lenkten mich in diese Richtung.
    Etwa dass ich einen Vortrag über »Emanzipation – ein Bildungsziel?« hielt, der zuletzt im Band »Kritik der politischen Utopie« abgedruckt wurde, war vor allem der Herausforderung durch die von fortschrittlichen Kulturpolitikern angestoßenen Schul-, Hochschul- und Erziehungsreformen geschuldet.
    Hatten Sie je im Sinn, so etwas wie eine politische Philosophie oder gar Geschichtsphilosophie zu entwerfen?
    Nein, Geschichtsphilosophie schon gar nicht, eher schonpolitische Philosophie. Aber beides sind zwei verschiedene Dinge. Ich habe zwar mit Karlfried Gründer den Artikel »Geschichtsphilosophie« im Lexikon »Religion in Geschichte und Gegenwart« verfasst, aber ich glaube, Geschichtsphilosophie kann es eigentlich nicht geben. Geschichtsphilosophie ist immer eine Deutung von außen, die dem Geschehen einen Sinn aufprägen will. Den Geschichtsprozess teleologisch zu verstehen – das wäre ja Geschichtsphilosophie – lag mir fern.
    In dieser Hinsicht war Karl Löwith mein Mann, dessen Buch »Weltgeschichte und Heilsgeschehen« ich damals dem Kohlhammer-Verlag empfohlen habe.
    Nehmen Sie Augustinus. Bei ihm gibt es zwar eine Richtung des Geschehens, und zwar vom Anfang bis zum Ende – die Heilsgeschichte. Die ist allerdings nicht linear, als zielgerichteter Prozess zu verstehen, so als laufe alles auf einen letzten Zustand der Welt hinaus, der dann der beste ist. Es handelt sich vielmehr um das verborgene Reich Gottes, das sich in der Geschichte ausbreitet, bis die Zahl der Erwählten voll ist. Dann tritt das Ende ein. Augustinus entwirft eine Geschichtstheologie, die mich mehr überzeugte als alle Geschichtsphilosophien. Die immanente Dynamik der Geschichte läuft auf den Antichrist hinaus.
    Wenn also Weltgeschichte eine Richtung hat, was jede Geschichtsphilosophie unterstellt, dann ist diese Richtung durch den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik bestimmt, also durch das Entropiegesetz, die Auflösung jeder sinnvollen Struktur durch den Tod.
    Das Reich Gottes ist für Augustinus nicht, wie es bei Teilhard de Chardin den Anschein hat, das immanente Ziel geschichtlicher Entwicklung, sondern ein Einbruch von außen. Das leuchtete mir immer mehr ein als eine Philosophie, die den Geschichtsprozess teleologisch begreift. Ähnlich verhältes sich mit der Evolutionstheorie. Man kann Evolution

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