Ueber Gott und die Welt
moralisierend von außen herankommt, hat er geringes Gewicht, solange die innere zwingende Stimmigkeit des Hegel’schen Weges nicht widerlegt wird.
Die Behauptung der Ungeheuerlichkeit kommt wahrscheinlich weniger von der Lektüre her als von der Vorstellung, als Mensch solle sich keiner ein absolutes Wissen anmaßen.
Dieser Bescheidenheitsgestus ist für die Vernunft tödlich. Er hat Verwandtschaft mit der heutigen political correctness, die darauf verzichtet, eine irrige Behauptung zu widerlegen, und stattdessen verbietet, bestimmte Behauptungen zu äußern.
Hegel hat den Versuch gemacht, den Satz des Parmenides, der am Anfang der Philosophie steht, in der Gesamtheit seiner Implikationen zu entfalten: »Dasselbe nämlich ist Denken und Sein.«
Anselm von Canterbury steht am Weg zwischen Parmenides und Hegel mit seiner These, dass der Begriff Gottes der Begriff von etwas ist, zu dessen Definition es gehört, nicht bloßer Begriff zu sein. Der Begriff von etwas, in dem Gedachtsein und Sein konvergieren – etwas, dessen Sein Grund seines Gedachtseins ist. »Wenn das Absolute nicht an und für sich schon bei uns wäre und sein wollte, würde es der List spotten, sich seiner bemächtigen zu wollen wie durch die Leimrute der Vogel«, heißt es in der Einleitung zur »Phänomenologie des Geistes«.
Thomas von Aquin hat Anselms berühmten ontologischen Gottesbeweis abgelehnt, wie später Kant. Der Gedanke eines in seinem Gedachtsein nicht aufgehenden Gedankens bleibt doch, so schreibt Thomas, selbst wieder nur ein Gedanke. Gott ist das absolut notwendig Seiende. Aber diese Notwendigkeit ist für uns kein Apriori, sondern bleibt eine
necessitas ex suppositione
. Das heißt, sie setzt voraus, dass er ist. Und zu dieser Affirmation gelangen wir nur durch Wahrnehmung der Spur des Absoluten im Endlichen. Als eine solche Spur wurde immer die teleologische Verfasstheit des Lebendigen angesehen.
Übrigens hat in neuester Zeit Elizabeth Anscombe das Anselm’sche Argument wieder vehement verteidigt. Sie war der Meinung, das Argument sei missverstanden worden, und an dem Missverständnis sei eine falsche Interpunktion schuld. Die konkrete Wirklichkeit denkend tatsächlich einzuholen, mit diesem Ziel scheint sich das Denken irgendwie zu übernehmen. Es gibt hier eine offenbar unaufhebbare Ambivalenz.
Wir hatten in München einmal bei einem Dozententreffen der Philosophen eine Diskussion über das Anselm’sche Argument. Das Argument wurde referiert von einem Analytischen Philosophen, einem Schüler von Stegmüller. Er hielt das Argument für zwingend. Ich sagte ihm hinterher, ich hätte gar nicht gewusst, dass er an die Existenz Gottes glaube. Seine Antwort war: »Nein, ich glaube natürlich in Wirklichkeit nicht an die Existenz Gottes. Aber das Argument ist schlüssig.«
Für den Kollegen ist offenbar der Satz des Parmenides Unsinn. Sein ist etwas schlechthin Opakes, das mit dem Gedanken nichts zu tun hat. Die Identität von Denken und Sein zu denken war Hegels Ziel. Aber der späte Schelling und Kierkegaard haben gezeigt, dass das Denken über Hegel hinaus in Gang gehalten wird, indem das Sein sich immer wieder als das Unvordenkliche geltend macht. Die Dialektik geht also weiter, entgegen Hegels Intention, sie im absoluten Wissen zum Stehen zu bringen.
Was bleibt von Hegel? Es bleibt die Dialektik. Sie wird in Gang gehalten durch den Widerspruch, der sich ergibt aus der Dynamik des Denkens, das seine endlichen Gestalten immer wieder transzendiert und versucht, seinen Außenaspekt in Innerlichkeit zu verwandeln, Außenkomplexität in Binnenkomplexität zu verwandeln und zu integrieren. Auf diesem Wege ergibt sich eine Unendlichkeit von Phänomenen, für deren Wahrnehmung die Lektüre Hegels von außerordentlicher Bedeutung ist.
Wir sagen immer mehr, als wir zu sagen meinen. Und indem wir dieses Mehr entdecken und zur Sprache bringen, eröffnet sich wieder ein neuer Raum des Ungesagten. Denn: »Jedes ausgesprochene Wort erregt den Gegensinn«, wie Goethe sagt.
Gehört nicht Hegel zu den Denkern, die das Schema der Erkenntnistheorie – ein Subjekt der Erkenntnis richtet sich auf einen Gegenstand der Erkenntnis – zu überwinden suchten, was auch großen Einfluss auf Ihr Denken hatte?
Wer vom Gegenstand der Erkenntnis spricht, darf nicht vergessen, dass dieser Gegenstand selbst wieder Subjekt sein kann. Ich schaue nicht nur ihn an, sondern er schaut mich an, wenn es sich um einen anderen Menschen handelt.
Nach Analogie
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