Ueber Gott und die Welt
teleologisch deuten, so als strebe sie der Hervorbringung des Menschen entgegen.
Ich glaube an echte Teleologie nur, wo es sich um lebendige Einzelorganismen handelt. Wenn die Hervorbringung des Menschen Ziel des Prozesses ist, dann nur in dem Sinn, dass das, was innerweltlich Zufall ist, im Dienst einer göttlichen Absicht steht. Gott wirkt – nach Thomas von Aquin – durch Zufälle ebenso wie durch Naturgesetze. So denkt auch Kant.
Sie kritisieren die Teleologie der Geschichtsphilosophie, verteidigen aber das, was Sie die immanente Teleologie nennen. Wie hat man das zu verstehen?
Mit immanenter Teleologie meine ich das Streben von Lebewesen nach Vollendung, nach Entfaltung der jedem Lebewesen eigenen Gestalt und Natur. So denke ich auch in Bezug auf Geschichte: Wenn irgendwo und irgendwann Gestalten des Lebens durch kluge Denker oder Politiker, wenn also für einige Zeit irgendwo ein menschenwürdiger Zustand besteht, dann ist das wundervoll und verdient Ehre für alle Zeit.
Es ist auch kein Argument, das diese Leistung herabsetzt, wenn man einwendet, die Ordnung sei am Ende doch zugrunde gegangen. Jede Gestalt, die der Entropie abgerungen wurde, war eine solche vorübergehende Epiphanie des Anderen. Alles Leben vergeht. Von allen Zuständen kann man sagen, es gab sie einmal. Aber dass es einmal für die Menschen einer bestimmten Zeit schön war zu leben, bleibt.
Aber gibt es nicht eine Tendenz in der Geschichte, die Erweiterung des Horizonts, zum Beispiel von der griechischen Poliswelt und der persisch-asiatischen Reichsgesellschaft eines Herodot, über die mediterrane Welt eines Polybios bis zur Expansion der christlichen Gesellschaften nach Amerika und Asien um 1500 und unserer heutigen sogenannten globalen, den ganzen Erdkreis umspannenden Weltgesellschaft? Und ist diese Horizonterweiterung nicht ein philosophisches Thema?
Ja, man kann vielleicht sagen, es gibt eine große Tendenz in der Geschichte, die tatsächlich, wenn man das positiv ausdrücken will – ich kann nie die unerwünschten Nebenfolgen dieser Tendenz übersehen – auf ein Zusammenwachsen der Menschheit zu einer Menschheitsfamilie hinausgeht.
Das Christentum hat die Menschheit ja immer als Familie verstanden, in der alle miteinander verwandt sind. Und so könnte man heute sagen, das Entstehen einer auch empirisch realen Menschheitsfamilie ist das Ziel der Geschichte und zugleich die Emanzipation von allen Hindernissen, die dem im Wege stehen. Aber dieses Ziel ist ambivalent. Es kann auf eine entsetzliche Tyrannei hinauslaufen. Aus dem Weltstaat gibt es keine Flucht in ein Asyl.
Ihre Haltung zur Geschichtsphilosophie scheint Ihrem Verständnis der Philosophie als solcher zu entsprechen. Leo Strauss hat einmal im Zusammenhang mit einer Vorlesung über Martin Heidegger in den fünfziger Jahren den Unterschied zwischen Philosoph und Gelehrtem betont. In Heidegger sah er den großen Philosophen, sich selbst schätzte er als einen Gelehrten ein, »scholar« im Englischen, der bestenfalls die Widersprüche zwischen den großen Philosophen aufzuklären vermag. Sehen Sie sich mehr als Philosophen oder als Gelehrten?
Mir scheint Leo Strauss die großen Philosophen für die wenigen überragenden Weisen zu halten, zu denen die Gelehrten aufschauen. Dennoch würde ich mich eher als einen Philosophen bezeichnen, einen gelehrten Philosophen, weil für mich Philosophie nicht Weisheit, sondern Liebe zur Weisheit bedeutet.
Ich denke, man kann sagen, man sei ein Philosoph, wenn man eine Sache von Grund auf verstehen möchte, und zwar nicht nur abends bei einem Glas Wein, sondern wenn man darüber gründlich und ohne Zeitdruck nachdenkt, um etwas zu begreifen und dann vielleicht auch die eine oder andere Einsicht gewinnt, die es wert ist, weitergegeben zu werden. Im Vergleich zu den Weisen, die Strauss im Sinne hatte, würde ich sagen, bin ich nur ein Professor der Philosophie.
Und als Gelehrten, der philosophische Forschung betreibt, sehen Sie sich auch nicht, oder?
Den Begriff »philosophische Forschung« mag ich eigentlich nicht …
Aber so heißt doch eine deutsche Philosophen-Zeitschrift …
Ja, eine gute Zeitschrift, in der ich auch einige Male publiziert habe. Aber der Begriff »philosophische Forschung« verdankt sich dem Versuch, in einer Welt, in der naturwissenschaftliche, auch historische und philologische Forschungen Großes leisten, zu demonstrieren: Wir tun doch auch anständige Arbeit, wir sind auch Forscher.
Aber ich finde, dem
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