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Ueber Gott und die Welt

Ueber Gott und die Welt

Titel: Ueber Gott und die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Spaemann
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hinzu: Wenn Gott nicht ist, dann muss man auch den Begriff der Wahrheit fallen lassen. Es gibt dann nur die Perspektiven der vielen einzelnen Menschen, aber keine »wahre« Perspektive. Eine solche müsste ja die universale Perspektive Gottes sein; die Erkenntnis des »intellectus archetypus«, wie Kant sagt.
    Nietzsche zieht die weitere Konsequenz: Wenn wir den Gedanken der Wahrheit fallenlassen, dann haben wir auch die Aufklärung aufgegeben. Das Pathos der Aufklärung lebt vom Glauben an Wahrheit. Ohne ihn zerstört sich die Aufklärung selbst. An ihrem Ende steht der Nihilismus. Vielleicht findet dann der Mensch die Kraft, einen neuen Mythos zu kreieren und in diesem selbstgemachten Glauben zu leben – die Utopie des Übermenschen.
    Heute spricht man nicht von neuen oder privaten Mythen, an die man glaubt oder nicht glaubt, sondern von Werten. Carl Schmitt hat 1967 einen Text publiziert, »Die Tyrannei der Werte«, in dem er das Denken über Werte, das beschwörende Reden von ihnen, als eine Reaktion auf den von Nietzsche diagnostizierten Nihilismus bezeichnet. Teilen Sie diese Auffassung?
    Ja. Ich halte die These für richtig, aber man muss unterscheiden zwischen dem, was Philosophen wie Nicolai Hartmann,Max Scheler oder Dietrich von Hildebrand darunter verstanden haben, und den heutigen politischen Diskursen, die »unsere westlichen Werte« beschwören.
    Für die genannten Philosophen besitzen Werte eine Geltung wie mathematische Axiome. Wobei Scheler Nicolai Hartmann kritisierte, weil dieser von einem Reich der Werte spricht, das unabhängig vom Menschen sei. Scheler hält das für einen unphilosophischen Gedanken. Werte sind relational auf lebendige Wesen bezogen. Andere beziehen sich wie die Mathematik auf einen denkenden Geist.
    Was heute in der Öffentlichkeit über Werte geredet wird, ist dagegen relativistisch. Man spricht von »unseren Werten«. Wenn westliche Politiker nach China reisen und ihre Pflichtübung in Sachen Menschenrechte und »unsere Werte« ableisten, dann antworten ihnen die chinesischen Gesprächspartner mit Recht: »Ihr sagt ja selber, es sind
eure
Werte, die ihr hochhaltet. Wir haben unsere eigenen Werte, die anders sind als eure. Also, was wollt ihr von uns?«
    Menschenrechte mit Werten zu rechtfertigen ist übrigens eine gefährliche Sache. Recht ist ein ziemlich klarer Begriff, aber Werte? Man redet ja auch oft von den christlichen Werten. Die Kirche solle »christliche Werte« verkünden. Aber es gibt keine »christlichen« Werte. Jesus hat den Menschen die Augen geöffnet für »Werte«, die es schon gab, bevor er erschien. Auch die Wahrheit des Satzes des Pythagoras gab es schon, ehe es Pythagoras gab.
    Wie spricht man über Werte mit Menschen, die diese nicht teilen? Sie sprechen in anderen Kontexten oft vom
argumentum ad hominem
, vom Argument, das sich an den Menschen wendet. Was verstehen Sie darunter?
    Unter einem
argumentum ad hominem
versteht man ein Argument, das anschlussfähig ist an das, was der Adressat schonweiß und denkt. Argumente, die vom
argumentum ad hominem
unterschieden werden, sind solche, die unabhängig vom Adressaten gelten sollen, ohne irgendetwas vorauszusetzen. Leibniz sagt einmal, jedes Argument sei ein
argumentum ad hominem
. Jeder Mensch kommt schon mit bestimmten Vormeinungen und Prämissen in ein Gespräch. Kein Argument ist schlechthin voraussetzungslos. So müssen wir zum Beispiel die Anerkennung der Logik oder des Widerspruchsprinzips voraussetzen.
    Jemanden zu überzeugen, der zweifelt, bleibt dennoch ein schier unmögliches Unterfangen. Es sei denn, es gäbe Prämissen, denen vorab alle zustimmen können. Ist das denkbar?
    Nur in der Arithmetik.
    Aber müssen Kinder sich hier nicht erst – ab einem gewissen Alter – einüben in die Fähigkeit zur Abstraktion?
    Als mein Sohn noch klein war, wollte ich sehen, wie weit er schon mit Zahlen umgehen kann. Ich legte ihm ein Bauklötzchen vor und fragte: »Wie viele sind das?« Er antwortete: »Eins.« Dann schob ich ein zweites Klötzchen nach, und er antwortete: »Zwei.« Schließlich gab ich ein drittes dazu. Mein Sohn: »Das ist der Papa, das die Mama, das ist das Kind.« Bei »Zwei« gelang die Abstraktion noch, bei »Drei« hörte sie auf.
    Die Mathematik setzt die Abstraktion voraus. Gibt es aber jenseits der Mathematik Argumente von gleicher Stringenz?
    Nein, da gibt es keine zwingenden Argumente. Vor fünf Jahren erschien von mir ein Büchlein »Der letzte Gottesbeweis«.Der Titel wurde

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