Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel
haben wir versucht, es wieder zusammenzusetzen, indem wir zusammen waren.
Er hält vor unserem Haus an. Die Sonne strömt in die Fahrerkabine und badet uns in Licht. Ich guck aus meinem Fenster, kann sehen, wie Bailey aus dem Haus rennt und von der Veranda hechtet, um in diesen Truck zu springen, in dem ich jetzt sitze. Wie seltsam. Ewig hab ich es Toby angekreidet, dass er mir meine Schwester weggenommen hat, und jetzt scheine ich auf ihn zu zählen, sie wieder zurückzuholen.
Ich mache die Tür auf und setze einen der Plateauschuhe auf den Boden.
»Len?«
Ich drehe mich um.
»Du wirst ihn mürbemachen.« Sein Lächeln ist warm und kommt von Herzen. Er legt den Kopf aufs Lenkrad und sieht mich an. »Ich lass dich eine Weile in Ruhe, aber wenn du mich brauchst … egal wofür, okay?«
»Gleichfalls«, sage ich und bekomme einen Kloß im Hals.
Unsere Liebesverbundenheit zu Bailey zittert zwischen uns wie etwas Lebendiges, zart wie ein kleiner Vogel und genauso atemberaubend in seiner Sehnsucht nach dem Fliegen. Mein Herz schmerzt für uns beide.
»Mach keine Dummheiten auf diesem Brett«, sage ich.
»Nee.«
»Okay.« Dann rutsche ich raus, schlag die Tür zu und geh ins Haus.
29. Kapitel
(Gefunden unter der Bank vor Marias Deli, auf die Kleinanzeigenseite der Clover Gazette gekritzelt)
SARAH IST AN DER State Uni, weil da heute Nachmittag das Symposium stattfindet, ich hab also niemanden, dem ich das Hallo-Rachel -Verführungsfiasko vorwerfen kann außer mir selbst. Ich hinterlasse ihr eine Nachricht, in der ich ihr mitteile, dass ich total gedemütigt worden bin, wie es sich für eine gute Heilige gehört, alles wegen ihrer jouissance , und dass ich jetzt auf ein Ultima-Ratio-Wunder warte.
Das Haus ist still. Grama muss weggegangen sein, was echt schlimm ist, denn zum ersten Mal seit Urzeiten würde ich nichts lieber tun als mit ihr am Küchentisch sitzen und Tee trinken.
Ich geh hoch ins Allerheiligste, um über Joe zu meditieren, aber da bleibt mein Blick immerzu an den Kisten hängen, die ich neulich Abend gepackt habe. Ich ertrage es nicht länger sie anzusehen, deshalb bringe ich sie auf den Dachboden, nachdem ich mein lächerliches Outfit los aus- und mich umgezogen habe.
Hier oben bin ich jahrelang nicht gewesen. Ich mag das Mausoleumsartige nicht, den verbrannten Geruch gefangener Hitze, das Stickige. Irgendwie wirkt es auch so traurig, so voller abgelegter, vergessener Sachen. Ich schau mir den leblosen Ramsch an und will Baileys Sachen nicht hier hochbringen. Genau davor drücke ich mich jetzt schon seit Monaten. Ich hole tief Luft, schaue mich um. Es gibt nur ein Fenster, und obwohl darunter alles mit Kisten und Bergen von Krimskrams vollgestellt ist, beschließe ich, dass Baileys Sachen dort stehen sollen, wo die Sonne wenigstens ein Mal am Tag hinfällt.
Durch einen Hindernisparcours aus kaputten Möbeln,
Kisten und alten Leinwänden arbeite ich mich bis zu der Stelle vor. Dann schiebe ich als Erstes ein paar Kartons beiseite, damit ich das Fenster aufmachen und den Fluss hören kann. Der Himmel über mir ist immer noch fantastisch und hoffentlich schaut Joe hoch. Egal, wohin ich in mir blicke, ich finde immer nur noch mehr Liebe für ihn, für alles, was mit ihm zu tun hat, seine Wut ebenso wie seine Zärtlichkeit – er ist so lebendig, dass ich das Gefühl bekomme, ich könnte ein großes Stück aus der Erdkugel beißen. Wenn die Worte mich heute doch nicht verlassen hätten, wenn ich doch nur zurückgebrüllt hätte: Doch, ich hab was kapiert! Ich hab nämlich kapiert, dass dich, solange du lebst, niemand so sehr lieben wird wie ich – ich besitze ein Herz, damit ich es dir allein schenken kann! Genau so fühle ich – aber leider reden Menschen außerhalb viktorianischer Romane nicht so.
Ich ziehe meinen Kopf aus dem Himmel und hole ihn zurück auf den stickigen Dachboden. Meine Augen müssen sich erst daran gewöhnen, und als sie es getan haben, bin ich immer noch überzeugt davon, dass dies der einzige mögliche Platz für Baileys Sachen ist. Den ganzen Kram, der dort schon steht, räume ich in die Regale an der hinteren Wand. Nach viel Hin- und Hergelaufe bücke ich mich endlich nach dem letzten Karton, einem Schuhkarton, dessen Deckel aufgeht. Er ist voller Briefe, alle an Big adressiert, wahrscheinlich Liebesbriefe. Ich werfe einen Blick auf die Postkarte von einer Edie, entschließe mich jedoch, nicht weiter zu schnüffeln, mein Karma könnte so schon nicht schlechter sein.
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