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Über Nacht - Roman

Über Nacht - Roman

Titel: Über Nacht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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wieder stärker. Ich merkte, wie er ängstlich in sich hineinhörte.
    Â«Was haben Sie da? Ich will das nicht.» Er zeigte auf das Gerät. Ich überprüfte dessen Funktionsfähigkeit, stellte es auf einen Unterdruck von 0,2 Bar ein.
    Â«Wir müssen den Schleim absaugen, Herr Lucchi, sonst riskieren Sie eine Lungenentzündung. Kommen Sie.»
    Â«Ich will das nicht.» Er holte aus, streifte mit der Hand den Apparat, den ich im letzten Moment in Sicherheit bringen konnte.
    Â«Dann husten Sie. Sie müssen husten. Das Sekret muß raus, sonst kriegen Sie irgendwann keine Luft mehr.»
    Â«Gehen Sie weg», sagte Lucchi.
    Vermutlich fürchtete er sich vor dem Abhusten, weil er sich dabei schon einmal eine Rippe gebrochen hatte.
    Â«Hören Sie», ich zeigte zur Zimmertür, «da draußen warten weitere fünfzehn Herren auf mich. Wenn Sie wollen, daß es Ihnen bessergeht, dann stellen Sie sich nicht so an.»
    Â«Verschwinden Sie. Rino wird sich um mich kümmern.» Lucchi ließ sich aufs Kissen fallen. Die Geräusche in seinem Rachenraum beunruhigten nun auch mich.
    Â«Machen Sie kein Theater. Ich will Ihnen nur helfen.»
    Als ich das Absauggerät anlegen wollte, drehte Lucchi absichtlich den Kopf weg. Ich versuchte es von der Seite, es war unmöglich, an ihn ranzukommen. Er preßte die Lippen aufeinander, drückte seinen Kopf einmal an die linke, dann an die rechte Schulter. Das Rasseln wurde lauter. Ich beschloß, den Notarzt zu rufen, und lief in die Schwesternküche.
    Marta hatte in den viereinhalb Arbeitsstunden fast nichts erledigt; nur die Nachtmedikamente waren von ihr verteilt worden. Während ich auf den Notarzt wartete, wechselte ich die Inkontinenzeinlagen und bettete die beiden Schlaganfallpatienten um. Halbseitig Gelähmte leiden unter starken Schmerzen, wenn sie falsch liegen. Womöglich springt der Oberarmknochen aus der Schulterpfanne und bohrt sich ins Gewebe. Einer der beiden, Battaglia, konnte nicht mehr sprechen und mich im Falle von Schmerzen auch nicht rufen. Er war Schneider gewesen, hatte einmal Maßanzüge gefertigt, bis die Billigbekleidung aus Osteuropa und aus Asien den Markt zu erobern begann. Ihr Vater habe am Ende wieder die Arbeit eines Lehrlings machen müssen, hatte Battaglias Tochter einmal erzählt. Er, der große Meister, sei in den letzten Jahren vor seiner Pensionierung dazu verdammt gewesen, Reißverschlüsse einzunähen und Hosen zu kürzen.
    In Carellis Zimmer lief der Fernseher; das Fenster war geschlossen, es roch wieder einmal nach Pisse. Er war mit der Fernbedienung auf dem Bauch eingeschlafen, wachte aber sofort auf, als ich das Badfenster kippte.
    Â«Was ist mit den Pornoheften?» fragte er. «Haben Sie welche gefunden?» Er blinzelte ein wenig, beschloß aber, das Licht zu meiden, und hielt die Augen geschlossen.
    Â«Ich muß Sie enttäuschen. Mein Mann steht nicht auf solche Hefte.»
    Erst jetzt schaute er mich an, und ich war mir nicht sicher, ob er das laute Pochen an der Eingangstür wahrgenommen hatte oder ob ihn meine Antwort aus dem Dämmerzustand gerissen hatte. «Einer Ehefrau entgeht nichts», rief er mir hinterher.
    Es war nicht der Notarzt, sondern dieser Rino, der gegen die Glastür hämmerte.
    Kaum hatte ich den Schlüssel umgedreht, stieß er die Tür mit einer solchen Wucht auf, daß sie an meine Schulter schlug.
    Â«Was ist los? Wie geht’s ihm?»
    Â«Ich habe sicherheitshalber den Notarzt gerufen.» Mit der linken Hand massierte ich die schmerzende Stelle, mit der rechten sperrte ich hinter ihm zu.
    Â«Seien Sie nicht so empfindlich», sagte er und lief den Gang hinunter zu Lucchis Zimmer.
    Â«Sie können froh sein, daß ich die Tür geöffnet habe.»
    Â«Das wär’ ja noch schöner», sagte Rino. «Nun machen Sie schon den Mund auf. Was ist mit ihm?»
    Â«Atemprobleme. Er läßt einen ja auch nicht ran.»
    Â«Wie – ran? So?» Er packte mich am Oberarm und zog mich in seine Richtung. Ich roch seine Fahne; er hatte Wein getrunken. Seine Augen glänzten. Mit Mühe kam ich von ihm los. Wie leichtsinnig, ihn einfach reinzulassen, dachte ich.
    Â«Angst?» lachte er. «Die ist aber sehr klein im Vergleich zur Angst meines Onkels.»
    Wir waren vor Lucchis Zimmer angekommen. Bevor Rino eintrat, suchte er Augenkontakt. «Sie gefallen mir. Sie haben was», sagte er,

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