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Über Nacht - Roman

Über Nacht - Roman

Titel: Über Nacht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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dann drückte er die Klinke nach unten.
    Das Rasseln war leiser, aber noch immer deutlich wahrnehmbar. Lucchi griff nach der Hand seines Neffen. «Schicksie raus», sagte er zu Rino und schaute dabei mich an. «Diese Amateurpflegerinnen sind auch noch taub. Raus!» Das letzte Wort ging in Hüsteln über.
    Â«Ja, husten Sie, das ist gut. Vielleicht geht noch etwas Schleim ab», sagte ich, und zu Rino gewandt: «Ich warte draußen auf den Notarzt.»
    Im oberen Stockwerk klingelte es wieder und wieder; die Studentin lief den Gang hinauf und hinunter, eine Tür schlug. «Gehen Sie jetzt endlich in Ihr Bett», hörte ich sie wenig später am anderen Ende rufen. Es gibt Heimbewohner, die an Schlafstörungen leiden; manche suchen dann die Nähe der Nachtschwester oder des Pflegers, wollen unterhalten werden. Ist dies nicht möglich, weil es die viele Arbeit nicht zuläßt, passieren ihnen Unpäßlichkeiten; sie klagen über Mückenstiche oder plötzlich schmerzende Narben und bestehen darauf, sofort behandelt zu werden.
    Ich stand vor dem Eingang, sah auf die Straße hinaus und dachte an Vittorio, an den fremden Geruch, der ihm angehaftet hatte. Irgendwo hatte ich gelesen, daß Frauen die ausgeprägteren Nasenmenschen seien.
    Ich dachte, der Notarzt käme, doch es war ein Polizeiwagen, der um die Ecke bog. Das Blaulicht hatte kurz die Oleanderbüsche gestreift; sie sahen aus wie Wassergewächse in einem beleuchteten Aquarium.
    In der Zeitung, fiel mir ein, war von den Stinkfrüchten die Rede, auch davon, daß die Bewertung von Gerüchen stark erfahrungsabhängig sei, weshalb im Erwachsenenalter nur wenige Menschen zu überzeugten Anhängern einer fremden Küche werden. Ich suchte in Gedanken nach der eigentlichen Bezeichnung der malaysischen Delikatesse, hatte ein genaues Bild von der kopfgroßen, stacheligen, gelbbraunen Frucht.
    Vor dem Eingang parkte ein Auto. Der Wagen sah nicht aus wie ein Krankenwagen, deshalb rührte ich mich nicht von derStelle. Als der Mann mit großen Schritten auf das Gebäude zukam, sperrte ich auf. Er trug lediglich einen kleinen Koffer bei sich.
    Â«Guten Abend. Ich sehe mir den Herrn an. Wenn nötig, ist in zwei Minuten der Krankenwagen da.» Er folgte mir, hörte sich auf dem Weg zu Lucchis Zimmer an, was ich über den Zustand des Patienten zu erzählen wußte.
    Â«Sonstige gesundheitliche Probleme?»
    Â«Keine Ahnung», sagte ich.
    Â«Liegt denn keine Krankenakte vor?»
    Ich schüttelte den Kopf.
    Â«Was soll ich dann tun.» Der Arzt betrat das Zimmer. Rino, der an Lucchis Bettrand saß, stand sofort auf und stellte sich neben mich, während Lucchi abgehört wurde.
    Durian
– der Name der Stinkfrucht war mir eingefallen.
    Â«Schicken Sie ihn morgen zum Lungenröntgen», sagte der Arzt, streifte sich die Schutzhandschuhe über und griff nach dem Absauggerät, nachdem ich ihm eine Tube mit Schleimhautanästhetikum in die Hand gedrückt hatte; ich sah, wie Lucchi widerstandslos seine Anweisungen befolgte.
    Rino beugte sich zu mir herüber, griff nach meinem Arm und flüsterte: «Ein sturer Hund, mein Onkel, das hab’ ich von ihm geerbt. Gehen wir raus?»
    Ohne eine Antwort abzuwarten, schob er mich durch die Tür.
    Wir standen eine Weile schweigend im Halbdunkel. Seine Aufdringlichkeit, die mich noch vor kurzem geängstigt hatte, war einer plötzlichen Schüchternheit gewichen. Unschlüssig schauten wir beide aus dem Fenster in den nächtlichen Garten. Die Blätter der Platanen rührten sich nicht. Eine Katze suchte unter den Bänken nach Eßbarem, kroch, nachdem sie nichts gefunden hatte, durch eine Lücke des Maschendrahtzaunes auf das Nachbargrundstück.
    Â«Ich frage den Arzt, ob er noch etwas braucht.»
    Rino nickte, starrte weiterhin in den Garten, als wartete er darauf, daß die Katze zurückkehrte.
    Der Arzt kam ohne mich zurecht; ich konnte mich um die anderen Heimbewohner kümmern. «Sie finden mich zur Not auf Zimmer sieben», sagte ich und trat auf den Gang hinaus, wo sich Rino, auf dem Fenstersims sitzend, eine Zigarette angezündet hatte.
    Â«Bitte nicht.» Ich nahm ihm die Zigarette aus der Hand, drückte sie auf dem Fenstersims aus und ging Richtung Schwesternküche, um neue Stomabeutel zu besorgen. Rino blieb, wo er war, sagte kein Wort. Erst als ich am Ende des Ganges angekommen war,

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