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Über Nacht - Roman

Über Nacht - Roman

Titel: Über Nacht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Hast du sie nicht erreicht?» fragte ich.
    Â«Die hat ja kein Telephon, die hat nicht einmal einen festen Wohnsitz», sagte Marta.
    Â«Und die aus der Frauenabteilung?»
    Â«Die Aushilfskraft? Die ist eine Katastrophe.»
    Ich versprach zu kommen, obwohl ich mich nicht dazu in der Lage fühlte. Auf der anderen Seite war ein tiefer Seufzer zu hören.
    Marta hatte bereits die Schürze abgelegt und wartete beim Ausgang auf mich. Sie sah blaß aus, mehrere Haarsträhnen klebten an der Wange, die Wimperntusche war verwischt. Der Zettel, den sie mir wortlos in die Hand drückte, enthielt ein paar Notizen und Anweisungen: wer schwer eingeschlafen sei, bei wem die Gefahr des Wundliegens bestünde, wer an Atemnot leide – ich kannte die Problemfälle, sie waren seit Jahr und Tag dieselben.
    Â«Das vergesse ich dir nie», sagte Marta und lief auf die Straße, als das Taxi vorfuhr. Bevor sie einstieg, erbrach sie sich hinter den Oleanderbüschen.
    Ich schloß die Eingangstür ab und machte mich auf den Weg in den Umkleideraum. Im oberen Stock waren Schritte zu hören, dann schepperte es; wahrscheinlich war die Schwester mit der Leibschüssel gegen die Klobrille gestoßen, gleich darauf wurde die Spülung gezogen.
    Ich hatte noch nicht einmal die Schürze zugeknöpft, als es klingelte, nicht einmal, sondern mehrere Male hintereinander. Schon auf dem Gang hörte ich das Rasseln; Lucchi war zu schwach, um abzuhusten. Der Schleim hatte sich im Rachenraum festgesetzt und hinderte ihn am freien Atmen. Ich versuchte das Absauggerät anzuschließen, aber es funktionierte nicht.
    Lucchi geriet in Panik: «Muß ich sterben?» Er krallte sich an meinem Oberarm fest. «Rufen Sie Rino. Bitte. Ich ersticke.»
    Â«Beruhigen Sie sich, Herr Lucchi. Das kriegen wir hin.» Ich riß mich los, machte das Fenster auf, überlegte, wo sich möglichst schnell ein Absauggerät fände.
    Â«Lassen Sie mich nicht allein.» Das Rasseln im Rachenraum war so stark, daß Lucchi das Sprechen schwerfiel.
    Â«Ich komme gleich», sagte ich mit betont fester Stimme.
    Â«Lassen Sie mich nicht –»
    Auf dem Weg in die Schwesternküche überlegte ich, ob ich den Notarzt rufen sollte, entschied dann aber, es erst mit einem anderen Absauggerät zu versuchen, doch es war kein Apparat auffindbar.
    Ich lief in den oberen Stock. Die Aushilfskraft, eine Sozialpädagogikstudentin, duschte eine Frau, die Durchfall hatte. Die Studentin, die ich auf Anfang zwanzig schätzte, versuchte vor mir zu verbergen, daß es sie würgte. Auf dem Badevorleger lag das schmutzige Nachthemd; ich hob es mit zwei Fingern auf und ließ es in den Wäschesack fallen, der in einen verbogenen Stahlrahmen gespannt war. Der Körper der alten Frau sah aus, als flösse er mit dem Wasser in die Duschwanne; die Brustwarzen erreichten die Höhe des Nabels; der Hintern war mit den Jahren nach unten gerutscht, wie eine schlecht sitzende Hose. Da ich von Anfang an in der Männerabteilung gearbeitet hatte, kam ich nur selten mit nackten Frauen in Berührung; anders als die Körper der männlichen Heimbewohner, mit denen ich mich nicht identifizieren konnte, erschreckten mich die Veränderungen am weiblichen Körper: Die Schwerkraft setzte ihnen arg zu. Mit vierzig, fünfzig, dachte ich, gelingt es noch, dagegen anzukämpfen, dann aber zieht es den Körper immer stärker Richtung Erde.
    Als es auf dem Gang klingelte, zuckte die Studentin mit den Achseln: «Was soll ich machen? Ich habe nur zwei Hände.» Ich nahm das Absauggerät aus dem Schrank und versprach, es noch in der Nacht zurückzubringen.Lucchi saß auf seinem Bett und hatte den Hörer in der Hand; es war nur noch ein leises Röcheln zu vernehmen, vermutlich war es ihm nun doch gelungen, einen Teil des Sekrets loszuwerden.
    Â«Ich habe Rino angerufen», sagte er.
    Â«Aber wozu?»
    Â«Hier verreckt man ja. Das ist kein Pflegeheim, sondern eine Demolierungsanstalt.» Er fuchtelte mit den Armen, so daß der Plastikbecher auf dem Nachttisch umfiel. Die Flüssigkeit ergoß sich über den
Corriere della Sera
.
    Â«Ich habe schon vor Stunden geklingelt, aber keiner ist gekommen», sagte Lucchi.
    Â«Marta hat sich erbrochen, sie ist nach Hause gefahren. Sie hat es eben nicht mehr geschafft, überall nachzusehen.»
    Â«Was geht mich das an», sagte Lucchi. Das Rasseln wurde

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