Über Nacht - Roman
Richard haÃt das, ich weiÃ. Aber er tut nichts dagegen. Ich meine, er weigert sich zu kochen. Was soll ich machen.»
Seit fünf Jahren waren die beiden zusammen; sie hatten sich in Rom kennengelernt, in der Muccassassina. Keine zwei Wochen nachdem sie sich beim Tanzen auf die Zehen gestiegen waren, hatte sich Davide in den Zug gesetzt und war nach Wien gekommen. Richard behauptete nach wie vor, Davide sei ihm absichtlich auf den Fuà getreten, um mit ihm ins Gespräch zu kommen, was jener jedoch entschieden von sich wies.
«Als ich im Flugzeug war, konnte ich ihn mir schon nicht mehr vorstellen», hatte Richard die erste Begegnung kommentiert, «Davide ist keiner, der sich einem einprägt.» Aber er war wegen Richard nach Ãsterreich gekommen, hatte das Gästezimmer bezogen, den eifersüchtigen Kater besänftigt und sofort Privatstunden in Deutsch genommen. Und er war geblieben, wurde den Eltern als
vorübergehender Mitbewohner
vorgestellt, der in Wien ein Erasmus-Stipendium hätte. Davide war der dritte Sohn eines wohlhabenden Grissini-Fabrikanten aus der Emilia-Romagna, besaà zwei Wohnungen, eine in Rom, eine in ForlÃ, von denen er erst nur eine, dann beide vermietethatte, so daà er sich nicht um seinen Lebensunterhalt sorgen muÃte.
Richard, der nach Rom geflogen war, um den Vater seines Neffen zur Rede zu stellen, war mit einer eigenen Geschichte zurückgekommen, mit der GewiÃheit, eine dieser verfluchten Schicksalsnächte erlebt zu haben, die das restliche Leben bestimmten.
Von Rino keine Spur.
VII
Auf der StraÃe fiel eine Autotür ins SchloÃ, nachdem im Schlagabtausch Stimmen zu hören gewesen waren. Ich warf einen Blick aus dem Fenster und sah eine Frau, die heftig gestikulierte. Ihre Tasche lag auf der Motorhaube, damit sie die Arme frei hatte. Von oben hätte man meinen können, sie dirigierte ein Orchester; der Mann, der die Musiker ersetzte, saà hinter der Windschutzscheibe und schüttelte den Kopf, was die Frau erst recht wütend machte. Als sie mich bemerkte, zog ich mich vom Fenster zurück.
Sie erinnerte mich an die Nachbarin von gegenüber, die nach einem Ehestreit Kleidungsstücke ihres Mannes aus dem Fenster geworfen hatte. Er wollte eben mit dem Auto wegfahren, da segelten seine Unterhosen, Hemden und T-Shirts durch die Luft, landeten auf den Dächern der Autos, auf dem Gehsteig und auf der StraÃe. Erst wollte der Mann die Teile aufheben, als er aber sah, daà immer mehr Wäschestücke vom Himmel flatterten und Passanten amüsiert nach seinen Sachen griffen, stieg er ins Auto und fuhr davon. Eine Weile waren einzelne Hemden und Hosen auf dem Boden liegengeblieben, aber spätestens nach einer halben Stunde wurdenauch sie von Vorbeikommenden eingesammelt und mitgenommen.
Ich stand im Wohnzimmer und betrachtete Vittorios Hemd, das ich auf dem EÃtisch ausgebreitet hatte. Die Arme in die Hüften gestemmt, wartete ich darauf, daà es mir etwas erklärte; es lag da, ein wenig zerknittert, mit glänzenden Perlmuttknöpfen, wies jedoch keinerlei Spuren auf. Ich nahm es in die Hände, hielt es gegen das Licht, war erstaunt über die Taillierung am Rücken und die weichen Kragen- und Manschetteneinlagen, die ich so nie wahrgenommen hatte. Auch die Nähte waren allesamt gekappt und mit einem Doppelstich versehen.
Ich roch am Kragen, an den Ãrmeln â der Geruch, den ich noch vor zwei Stunden an Vittorio wahrgenommen hatte, war weg, als wäre er mit Vittorio ausgezogen, oder war es ein anderes Hemd gewesen, an das ich meine Nase gedrückt hatte? Ich lief ins Badezimmer, öffnete den Wäschekorb, fand jedoch nur meine eigene Unterwäsche und zwei Boxershorts mit rot-weiÃen Karos, die mich an den Vorhangstoff einer Tiroler Berghütte erinnerten, zu der ich mit Vittorio letzten Sommer aufgestiegen war. Ich drückte den Lichtschalter am Spiegelschrank, um mein Gesicht zu betrachten, hielt die Pinzette in der Hand, um die linke Augenbraue, die mir etwas breiter erschien, der rechten anzugleichen, als das Telephon klingelte. Es war Marta.
«Verzeih. Ich weiÃ, es ist nach Mitternacht. Ich kann nicht mehr. Ich habe mich schon zweimal übergeben. Bitte spring für mich ein.»
«Aber ich habâ morgen Frühdienst. Ich kann doch nicht sechzehn Stunden durcharbeiten. Mit der letzten Schicht wären es dann vierundzwanzig.»
«Bitte.»
«Und Okhi?
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