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Über Nacht - Roman

Über Nacht - Roman

Titel: Über Nacht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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gesprochen. Es genügte mir seine Zuvorkommenheit, die Liebenswürdigkeit, mit der er sich am selben Abend um mich gekümmert hatte.
Was soll ich für dich kochen? Möchtest du etwas trinken?
    Von draußen drang kaum Lärm ins Innere des Hauses; die Stadt war fast ohne Menschen. Die meisten Betriebe hatten Ferien.
    Ich trocknete Lucchi ab.
    Â«Lassen Sie mich.» Er schwankte, als er in seine Unterhose stieg.
    Â«Sie werden sich das Genick brechen.» Ich warf die schmutzige Wäsche Richtung Wäschesack, traf aber nicht. Das Hemd blieb auf dem Badewannenlifter hängen. Lucchi drehte sich zur Wanne und lächelte.
    Â«Rino hat nach Ihnen gefragt.» Er schaute mich nicht an, war mit dem Aufknöpfen des frischen Hemdes beschäftigt. «Ich muß Sie vor ihm warnen.»
    Â«Ich kann selbst auf mich aufpassen.»
    Â«Er ist zweimal geschieden.»
    Â«Immerhin», sagte ich, «klare Verhältnisse.» Ich nahm das alte Hemd vom mechanisch absenkbaren Stuhl über derWanne, sammelte die nassen Handtücher auf und brachte alles zum Wäschesack. «Das spricht für ihn.»
    Â«Drei Kinder von zwei Frauen? Er kommt mich regelmäßig besuchen, weil ich seine erste Frau finanziell unterstütze.» Lucchi zog sich das Hemd über und tastete mit der Linken nach dem untersten Knopfloch.
    Â«Vielleicht mag er Sie auch.»
    Er lachte auf. «Mich mag man nicht.»
    Â«Und was haben Sie Rino von mir erzählt?» Ich reichte Lucchi die Hose; eine Zweieuromünze fiel aus der Gesäßtasche.
    Â«Ich kenne Sie nicht. Was kann ich schon von Ihnen wissen. Daß Sie schöne Beine haben.» Wieder geriet Lucchi aus der Balance, hielt sich im letzten Moment an mir fest. Er atmete tief durch, als vergewisserte er sich, daß er genug Luft kriegte.
    Â«Am liebsten würde ich mich am Bettgalgen erhängen», sagte er. Lucchi blickte zum Fenster und deutete auf zwei Gitter, die zum Desinfizieren in die Ecke gestellt worden waren. «Überall diese Halterungen, Bügel und Stangen, einfach lächerlich. Man kann nicht ausweichen, verstehen Sie? Das ist weit schlimmer als Hausarrest. Das ist Seelenarrest. Danke.» Er nahm seine Armbanduhr entgegen.
    Es war das erste Mal, daß er sich mit mir unterhielt, freundlich war. Ich begleitete ihn auf sein Zimmer, fragte, ob ich noch etwas für ihn tun könne.
    Â«Rino kommt um zwanzig Uhr. Er bittet Sie, auf ihn zu warten. Aber fahren Sie lieber nach Hause.»
    Â«Ich weiß schon, was ich mache», sagte ich, «außerdem bin ich verheiratet.» Ich sah in sein wächsernes Gesicht, betrachtete die mit Flecken übersäte Haut. Lucchi setzte sich auf das Bett, strich das Kissen glatt.
    Â«Deswegen hält er sich doch nicht zurück.»
    War er eifersüchtig? Oder versuchte er, durch Fürsorge seine Dankbarkeit zu zeigen? Das Wenige, das ich über ihn wußte,hatte ich von Giorgio erfahren, einem Pfleger, der schon seit zwei Jahren nicht mehr bei uns arbeitete. Lucchi war als junger Mann von zu Hause davongelaufen, das
rote Gold
hatte ihn nie interessiert. Sein Vater war Besitzer von mehreren Tomatenfeldern gewesen, die er bald, nachdem der einzige Sohn verschwunden war, verkauft hatte. Inzwischen werden in dieser Gegend südlich von Foggia Immigranten aus Polen, Bulgarien und Afrika wie Sklaven gehalten. Sie arbeiten von sechs bis zweiundzwanzig Uhr für drei Euro die Stunde. Die meisten von ihnen sind ohne Aufenthaltsgenehmigung, haben nicht genügend Geld für eine menschenwürdige Unterkunft. Wer weg will, weil er die Zustände nicht mehr erträgt, den verfolgen die Aufseher.
    Â«Schlafen Sie gut», sagte ich zu Lucchi und berührte ihn kurz an der Schulter.
    Während ich von Lucchi weiter zu Carelli ging, dachte ich an die Hitze auf den apulischen Feldern, daran, daß die Erntearbeiter heimlich ungewaschene Tomaten essen, weil man ihnen nicht genügend zum Trinken gibt. Giorgio hatte erzählt, daß die Pelati voll von Pestiziden seien und die Arbeiter wohl deshalb wochenlang von keiner einzigen Mücke gestochen würden.
    Obwohl es bereits Abend war, hatte sich Carelli noch nicht rasiert. Im Badezimmer war es derart schwül gewesen, daß meine Haut von einem feuchten Film überzogen war. Ich ließ die Tür zum Gang offen, holte den Rasierapparat aus der Lade und steckte ihn an. Carelli sog die Lippen ein und streckte sein Kinn heraus,

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