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Über Nacht - Roman

Über Nacht - Roman

Titel: Über Nacht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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setzte sich auf den Stuhl, dessen Rückenlehne stellenweise die Farbe verloren hatte. Die Einrichtung erinnerte sie an die Küche der Eltern im Waldviertel, da wie dort klebte der Jahreskalender der Feuerwehr am Kühlschrank, waren Rechnungen und Ansichtskarten auf der Pinnwand über der Eckbank befestigt. Daß hier ein Mann allein lebte, war trotz aller Mühe, die sich Zeder und Zeders Kinder zu geben schienen, sofort zu erkennen: Die Vorhänge hatten einen Grauton, in der Obstschüssel lagen verschiedene Schlüssel und Schrauben, nirgendwo Pflanzen.
    Es war still in der Küche, keiner sagte etwas. Friedrich Zeder stellte das Glas mit dem Wasser auf den Tisch, seine Finger zitterten leicht.
    Â«Wie läuft der Unterricht», fragte Irma.
    Â«Es sind noch Ferien, leider. Wir kriegen im Sommer kein Geld. Und du?» Er setzte sich auf die Bank, schaute Irma an.
    Â«Ich –», Irma schob das Wasserglas langsam hin und her, wich dem Blick aus, «ich versuche mein Projekt über die aussterbenden Berufe zu Ende zu bringen, was nicht leicht ist, weil ich ein Kind habe.» Sie hörte das Ticken der alten Standuhr aus dem Nebenzimmer.
    Â«Wie alt?»
    Unter der Obstschüssel lag ein garngeklöppeltes Deckchen, wahrscheinlich eine Handarbeit von Emmy.
    Â«Bald drei», sagte Irma. «Sie haben –, du hast einen sympathischen Vater.»
    Â«Mama war auch so.» Er drehte seinen Oberkörper zum Fenster hin, sah kurz hinaus. «Es ist für uns alle schwer ohne sie. Und du? Ich darf doch du sagen? Leben deine Eltern noch?»
    Â«Sie führen eine Kurzwarenhandlung in Gmünd. Allerdingsreichen die paar Knöpfe nicht mehr zum Leben. Zum Glück hat Mama ein Grundstück geerbt, das sie gut verkaufen konnte.»
    Â«Man kann die Uhr nach den Nachbarn richten», sagte Friedrich, «immer um diese Zeit ziehen die ihre Vorhänge zu.» Er schüttelte den Kopf.
    Â«Die meisten ziehen sie nur samstags zu», sagte Irma.
    Â«Ach», überrascht schaute Friedrich Irma an, «aber die da drüben – die sehen nur fern.» Friedrich erhob sich, deutete zur Türe. «Sollen wir?» Er drückte Irma ein Buch in die Hand,
Die Meisterprüfung im Druckgewerbe.
    Â«Papa hat gesagt, ich soll es dir geben.»
    Die Werkstatt befand sich zwei Häuser weiter; ein Teil der Räumlichkeiten diente einem Essiggurkenproduzenten als Lagerstätte für die Einweckgläser. Vater und Sohn hatten zwar die alte Presse aus dem hintersten Winkel rausgezogen und entstaubt, aber überall war Gerümpel. Alte Fahrräder standen neben Langlaufskiern und Blumentöpfen, so daß Irma aus Höflichkeit ein paar Photos schoß. Alois Zeder erklärte an seinem kleinen Schriftkasten die Unterteilungen in ganze, halbe und viertel Fächer. Warum die Frakturkästen mehr Fächer hatten als die Antiquakästen, dachte Irma, kann ich auch zu Hause nachlesen. Sie verglich die beiden Männer und versuchte sich Emmy Zeder vorzustellen, von der sie in der Wohnung kein Bild gesehen hatte; Friedrich war wohl nach der Mutter geraten. Irma betrachtete ihn eine Weile. Er stand etwas abseits hinter seinem Vater und fragte nach dem Fassungsvermögen der großen Kästen, als wäre er der Interviewer. Dabei schaute er sie lange an. Zerstreutheit lag in seinem Blick, als dächte er über etwas ganz anderes nach. Sie mußte an die zugezogenen Vorhänge denken, daran, daß sie sich manchmal nackt filmte und dabei das Stativ so einstellte, daß nur der Körper aufgenommen wurde, nicht der Kopf. Wenn sie hinterher auf demkleinen Display ihrer Kamera den Film abspielte, erregte sie die Vorstellung, daß dieser Körper nicht ihr, sondern einer x-beliebigen Frau gehörte.
    Â«Ich muß los», sagte Irma plötzlich, «vielen Dank für alles.» Das Kind sei abzuholen. Sie habe noch einen Termin. Im Türrahmen stehend bedankte sie sich ein zweites und drittes Mal, versprach dem verdutzten Alois Zeder, daß sie das Buch so bald als möglich zurückgeben werde, daß sie sich erlaube anzurufen, wenn etwas unklar sei, ging noch einmal zurück, um seine Hand zu schütteln, nickte Friedrich zu.
    Der sagte kein Wort. Alois Zeder hob die Hand zum Gruß, wünschte Irma alles Gute. Er winkte wie in alten Filmen, wenn die Begleiter auf dem Bahnsteig zurückbleiben und dem Zug hinterherschauen.
    Als Irma die Tür hinter sich

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