Über Nacht - Roman
allein.
Irma sperrte das Fahrrad ab, sah sich um. Es wäre ihr unangenehm gewesen, Friedrich hier drauÃen zu treffen. Sie wollte in Ruhe nach einem Platz suchen, wo sie einen Ãberblick hatte.
Die Kabine roch nach SchweiÃ. Während sich Irma umzog, hielt sie die Luft an. Die Wände waren beschmiert; in der Ecke über der Sitzbank stand eine Telephonnummer, darüber der Satz
Melanie fickt dich, ruf an
. Nachts, wenn Irma nicht schlafen konnte und durch die Programme zappte, sah sie sich die Werbesendung an, in der Frauen für Telephonsex warben. «Echt heiÃe Girls machenâs dir am Telephon.» Manchmal rieb sie sich dabei. Als sie die Kabine verlieÃ, echote es in ihrem Kopf: «Diana ganz privat. Fünf eins eins sechs eins eins. Ruf an, ruf an, ruf an.» Sie stieg zur Frauenterrasse hoch; die Liegen auf der Sonnenseite waren fast alle besetzt. Die meisten Frauen waren über fünfzig und übergewichtig. Es waren seit Jahren dieselben, die hierher kamen. Sie lieÃen keinen Sonnentag aus. Wenn im Mai das Bad öffnete, begrüÃten sie einander,alte Bekannte, die sich in den FKK-Bereich zurückzogen und die Schwimmbecken scheuten. Neben den Liegen standen kleine Sprühflaschen, mit denen sie das Wasser aus der Dusche auf ihren Körpern zerstäubten.
Irma war früher öfters hier gewesen, sie hatte sich aus dem Trubel des Bades auf die Terrasse zurückgezogen, war aber auch hier oben meistens nicht zum Lesen gekommen, weil sich die Frauen laut über ihre Männer und Schwiegertöchter unterhalten hatten; häufig waren Zeitungsartikel aus der
Krone
Gesprächsthema gewesen, oder die Damen warteten darauf, daà sich die ersten Sonnenanbeterinnen verabschiedeten, um dann über deren Körpergewicht und Bräunungsgrad zu reden.
Am unteren Ende der Terrasse schob Irma eine Liege an die blaue Blechwand; sie legte sich kurz in die Sonne, um sich zu beruhigen. «Nach der Transplantation wirst du wieder ein normales Leben führen können», hatte Richard einmal zu ihr gesagt. «Wetten, daà du dich dann gleich verliebst?» Ein normales Leben, dachte Irma. Sie hatte keine Ahnung mehr, wie das war. Sie schloà die Augen, genoà die Wärme auf ihrem nackten Körper. Die Narbe hielt sie mit ihrem T-Shirt bedeckt. Sie dachte an ein Liebespaar, das sich â es war schon ein paar Jahre her â am FKK-Strand der Donau innig geküÃt hatte. Die beiden waren sich im Schneidersitz gegenüber gesessen, so daà Irma, wenn sie von ihrer Zeitung aufgeschaut hatte, zwischen die sonnenbeschienenen Beine der Frau blicken konnte. An dieses Glitzern an den Schamlippen muÃte sie oft denken.
Ãber die Lautsprecher wurde für die Kasperltheateraufführung geworben, die in zehn Minuten beginnen sollte. Irma erhob sich, stieg auf die Liege und blickte über die Blechwand runter auf die Schwimmanlage. Auf dem Weg, der von den Kassen zu den Becken und Liegewiesen führte, schob eine Frau ihren Kinderwagen auf und ab. Zwei Familien waren soeben angekommen; die Väter trugen die Kühltaschen, die Mütterwaren vollgepackt mit Schwimmreifen, Decken und Badetüchern; eine war am Arm tätowiert, ein seltsamer Vogel mit ausgebreiteten Flügeln. Drei Mädchen, jünger als zehn, liefen voraus zum Kiosk und zeigten auf die Eistafel. Die Becken waren zu weit entfernt; Irma konnte nur erkennen, daà die künstliche Brandung ausgeschaltet war und der Bademeister mit seinen weiÃen Boxershorts den Zugang zum Sprungturm kontrollierte. Auch die zwei Männer unter den Duschen waren zu weit weg. Sie packte ihre Sachen in die Tasche, schlüpfte in den Badeanzug und verlieà die Terrasse.
Unten angekommen, war sie wieder nahe daran aufzugeben, dem Ausgang zuzustreben. Was soll das, dachte sie. In meinem Alter. Sie fühlte sich angeschaut, weil sie selbst nervös und aufgeregt in alle Richtungen blickte. Vor der Bar saÃen drei dickbäuchige Männer und spielten Karten. Keiner sah aus wie Friedrich. Mit der neuen Sonnenbrille auf der Nase, das Badetuch um die Taille geschlungen, begab sich Irma zu den Sportbecken. Sie setzte sich unweit des Fünfmetersprungbretts auf die Betonstufe und sah den Jugendlichen zu, wie sie kopfüber ins Wasser tauchten; nach einer Weile setzten sie ihre Arschbomben bewuÃt nahe an den Beckenrand, um die zuschauenden Mädchen naÃzuspritzen; diese sprangen erst kreischend
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