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Über Nacht - Roman

Über Nacht - Roman

Titel: Über Nacht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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allein.
    Irma sperrte das Fahrrad ab, sah sich um. Es wäre ihr unangenehm gewesen, Friedrich hier draußen zu treffen. Sie wollte in Ruhe nach einem Platz suchen, wo sie einen Überblick hatte.
    Die Kabine roch nach Schweiß. Während sich Irma umzog, hielt sie die Luft an. Die Wände waren beschmiert; in der Ecke über der Sitzbank stand eine Telephonnummer, darüber der Satz
Melanie fickt dich, ruf an
. Nachts, wenn Irma nicht schlafen konnte und durch die Programme zappte, sah sie sich die Werbesendung an, in der Frauen für Telephonsex warben. «Echt heiße Girls machen’s dir am Telephon.» Manchmal rieb sie sich dabei. Als sie die Kabine verließ, echote es in ihrem Kopf: «Diana ganz privat. Fünf eins eins sechs eins eins. Ruf an, ruf an, ruf an.» Sie stieg zur Frauenterrasse hoch; die Liegen auf der Sonnenseite waren fast alle besetzt. Die meisten Frauen waren über fünfzig und übergewichtig. Es waren seit Jahren dieselben, die hierher kamen. Sie ließen keinen Sonnentag aus. Wenn im Mai das Bad öffnete, begrüßten sie einander,alte Bekannte, die sich in den FKK-Bereich zurückzogen und die Schwimmbecken scheuten. Neben den Liegen standen kleine Sprühflaschen, mit denen sie das Wasser aus der Dusche auf ihren Körpern zerstäubten.
    Irma war früher öfters hier gewesen, sie hatte sich aus dem Trubel des Bades auf die Terrasse zurückgezogen, war aber auch hier oben meistens nicht zum Lesen gekommen, weil sich die Frauen laut über ihre Männer und Schwiegertöchter unterhalten hatten; häufig waren Zeitungsartikel aus der
Krone
Gesprächsthema gewesen, oder die Damen warteten darauf, daß sich die ersten Sonnenanbeterinnen verabschiedeten, um dann über deren Körpergewicht und Bräunungsgrad zu reden.
    Am unteren Ende der Terrasse schob Irma eine Liege an die blaue Blechwand; sie legte sich kurz in die Sonne, um sich zu beruhigen. «Nach der Transplantation wirst du wieder ein normales Leben führen können», hatte Richard einmal zu ihr gesagt. «Wetten, daß du dich dann gleich verliebst?» Ein normales Leben, dachte Irma. Sie hatte keine Ahnung mehr, wie das war. Sie schloß die Augen, genoß die Wärme auf ihrem nackten Körper. Die Narbe hielt sie mit ihrem T-Shirt bedeckt. Sie dachte an ein Liebespaar, das sich – es war schon ein paar Jahre her – am FKK-Strand der Donau innig geküßt hatte. Die beiden waren sich im Schneidersitz gegenüber gesessen, so daß Irma, wenn sie von ihrer Zeitung aufgeschaut hatte, zwischen die sonnenbeschienenen Beine der Frau blicken konnte. An dieses Glitzern an den Schamlippen mußte sie oft denken.
    Ãœber die Lautsprecher wurde für die Kasperltheateraufführung geworben, die in zehn Minuten beginnen sollte. Irma erhob sich, stieg auf die Liege und blickte über die Blechwand runter auf die Schwimmanlage. Auf dem Weg, der von den Kassen zu den Becken und Liegewiesen führte, schob eine Frau ihren Kinderwagen auf und ab. Zwei Familien waren soeben angekommen; die Väter trugen die Kühltaschen, die Mütterwaren vollgepackt mit Schwimmreifen, Decken und Badetüchern; eine war am Arm tätowiert, ein seltsamer Vogel mit ausgebreiteten Flügeln. Drei Mädchen, jünger als zehn, liefen voraus zum Kiosk und zeigten auf die Eistafel. Die Becken waren zu weit entfernt; Irma konnte nur erkennen, daß die künstliche Brandung ausgeschaltet war und der Bademeister mit seinen weißen Boxershorts den Zugang zum Sprungturm kontrollierte. Auch die zwei Männer unter den Duschen waren zu weit weg. Sie packte ihre Sachen in die Tasche, schlüpfte in den Badeanzug und verließ die Terrasse.
    Unten angekommen, war sie wieder nahe daran aufzugeben, dem Ausgang zuzustreben. Was soll das, dachte sie. In meinem Alter. Sie fühlte sich angeschaut, weil sie selbst nervös und aufgeregt in alle Richtungen blickte. Vor der Bar saßen drei dickbäuchige Männer und spielten Karten. Keiner sah aus wie Friedrich. Mit der neuen Sonnenbrille auf der Nase, das Badetuch um die Taille geschlungen, begab sich Irma zu den Sportbecken. Sie setzte sich unweit des Fünfmetersprungbretts auf die Betonstufe und sah den Jugendlichen zu, wie sie kopfüber ins Wasser tauchten; nach einer Weile setzten sie ihre Arschbomben bewußt nahe an den Beckenrand, um die zuschauenden Mädchen naßzuspritzen; diese sprangen erst kreischend

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