Über Nacht - Roman
Florian», er stand kurz auf, holte sich einen Aschenbecher vom Nebentisch, «sieht er so aus wie du?»
«Er hat die dunklen Haare von seinem Vater, vielleicht auch die Nase», sagte Irma. «Ich habâ leider keine Photos. Rino lebt in Rom, oder sonstwo. Keine Ahnung. Ich habâ monatelang versucht, Kontakt aufzunehmen.» Vielleicht war es sogar die Wohnung eines Freundes gewesen, in die mich Rino damals eingeladen hat, dachte Irma.
Einer der dickbäuchigen Männer hatte eine Runde Bier besorgt, das Kartenspiel wurde fortgesetzt.
Friedrich fragte nicht weiter. Er sah Irma nur an. Sie muÃte daran denken, wie er sie in der stillgelegten Druckerei seines Vaters angeschaut hatte, wie sie davongelaufen war. Einen Augenblick lang war sie sich sicher, daà Friedrich sie heute zum Abschied küssen und seine Zunge einen bitteren Geschmack von Kaffee und Tabak in ihrem Mund zurücklassen würde.
Es ist aussichtslos, sagte sich Irma dann wieder und dachte an Florian. Sie trank das Mineralwasser in einem Zug aus. Friedrich schenkte sofort nach. Er erzählte von seinem Unterricht, daà er eine Weile Alphabetisierungskurse gehalten habe, unter den Teilnehmern auch Ãsterreicher gewesen seien, die nie ausreichend Lesen und Schreiben gelernt hätten. In der Zwischenzeit bringe er ausländischen Frauen, die in ihrem Herkunftsland als Sekretärinnen tätig gewesen seien, Deutsch bei. Die Arbeitssituation sei katastrophal, wer wolle schon eine Türkin mit zwei kleinen Kindern in seinem Büro beschäftigen.
Sie redeten und redeten; es war eine Mischung aus Vorsicht und Zwanglosigkeit. Irma berichtete von ihren Interviews, sprach über Richard und seine Arbeit bei der Sicherheitskontrolle am Flughafen. Das Innenministerium habe erst vor kurzemwieder einen Tester geschickt, um zu prüfen, ob es Sicherheitsmängel gebe. Bis jetzt sei immer alles gut gelaufen, sagte Irma. Sie würde diese immense Verantwortung nicht aushalten.
Die Handsonde, mit der man beispielsweise nach Metallgegenständen abgesucht werde, könne keine Keramikmesser aufspüren. Manchmal fänden sich im Handgepäck auch skurrile Dinge. Einmal sei es einem Mann gelungen, einen lebenden Falken nach Italien mitzunehmen. Das Skelett des Vogels habe sich nicht genügend abgezeichnet, das Tier sei auf dem Monitor nicht als solches erkennbar gewesen. Bei einem anderen Fluggast habe man eine Vakuumpumpe im Aktenkoffer gefunden. «Richards Arbeitskollegin hat keine Ahnung gehabt, wozu man so etwas verwendet», erzählte Irma, «und hat dann noch unbedingt von dem Mann wissen wollen, was man damit macht.»
«Und was macht man damit?» fragte Friedrich.
«Fragen Sie Frau Beate Uhse», sagte Irma lachend.
«Die kann man nicht mehr fragen. Hast du gewuÃt, daà sie im Zweiten Weltkrieg Militärflugzeuge an die Front überführt hatte?»
Irma schüttelte den Kopf.
Sie fühlte sich wohl, dennoch gelang es ihr nicht, sich in diesem Glücksgefühl einzurichten. Friedrich hat sicher eine Freundin, dachte sie, oder: Er wird meinen zerschnittenen Körper nicht mögen. Den Unterarm mit den Narben hatte sie in ihren Schoà gelegt, die Hand ruhte auf dem Oberschenkel. Sie sahen sich eine Weile an, sprachen nicht. In einem Anflug von Schüchternheit drängte Irma zum Aufbruch. Sie könne Florian nicht so lange allein lassen.
«Ich begleite dich ein Stück», sagte Friedrich.
Als Irma wenig später zu den Damenkabinen abbog, ging Friedrich ohne zu zögern weiter neben ihr her.
«Treffen wir uns beim Ausgang», sagte Irma und schubste die Kabinentür auf. Die Tür schwang wieder zurück, so daà Friedrich sie mit der flachen Hand stoppte. Mit der anderen hielt er Irma an der Schulter zurück. Sie drehte sich, stand mit dem Rücken zur Kabine.
«Du bist doch nicht wegen der Terrasse gekommen.»
Irma sah ihn an, wich aber sofort seinem Blick aus. Der Boden war übersät von alten Kaugummiflecken. Er berührte ihre Wange, strich mit dem Zeigefinger über ihre Lippen, öffnete ihren Mund. Sie küÃten sich. Irgendwo wurde ein Kästchen aufgeschlossen, man hörte das helle Klirren eines zu Boden fallenden Kleiderbügels.
Friedrich drängte Irma in die Kabine, holte noch schnell die Sporttasche von drauÃen herein und gab ihr einen kleinen Tritt, so daà sie unter der Holzbank landete.
«Komm», sagte
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