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Über Nacht - Roman

Über Nacht - Roman

Titel: Über Nacht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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abzuholen, auch auf dem Gang war er nicht zu sehen gewesen. Ich räumte die Küche auf; Marta hatte ein ziemliches Chaos hinterlassen: In der Spüle stand ungewaschenes Geschirr, die Medikamente waren durcheinander, auf der Eckbank lag ein Hemd, dem vermutlich ein Knopf fehlte. Da es in der Waschküche ebenfalls an Personal mangelte, hatte man die Nachtdienstschwestern gebeten, in den ruhigeren Stunden Ausbesserungsarbeiten an den Kleidungsstücken vorzunehmen. Die Schwestern aus der Frauenabteilung weigerten sich beharrlich und schickten die Teile ungeflickt mit der Schmutzwäsche zurück. In anderen Heimen hatte man längst Firmen mit der Reinigung und Pflege der Wäsche betraut, auch das Essen wurde aus Vorortgroßküchen angeliefert.
    Nachdem ich die Medikamente verteilt hatte, steckte ich eine Packung MS in die Seitentasche meiner Schürze und schaute nach Mancini; er saß mit gebeugtem Oberkörper, den Rücken zur Tür gewandt, auf einem Leibstuhl im Bad. Ich strich ein paarmal über seinen Rücken, hielt ihm die Zigarettenpackung hin, er nahm sie nicht.
    Â«Ich will niemanden mehr im Zimmer», sagte Mancini, «alle sterben in diesem Bett. Ihr müßt ein neues Bett reinschieben.» Er kratzte mit dem Zeigefinger an seiner Hose, als versuchte er, einen Fleck zu entfernen. Nach einer kurzen Pause fuhr er fort: «Ich habe nicht gezählt. Und Sie? Haben Sie heute morgen die Schwärme gesehen?»
    Draußen klingelte es gleich mehrere Male hintereinander; auf Mariella konnte ich mich nicht verlassen.
    Mancini, der mich bis jetzt nicht angeschaut hatte, warf nun einen Blick auf meine Hand, wohl um sich zu vergewissern,daß die Zigaretten noch da waren. Ich legte die Schachtel auf den Badewannenrand, ging zur Tür.
    Â«Rundlich waren sie», sagte Mancini, «bauchige Wolken.»
    Â«Das ist so, weil jeder in die Mitte will», sagte ich, «keiner der Stare will am Rand bleiben. Wegen der Habichte, die ihnen nachstellen.»
    Â«Deswegen müßt ihr das Bett in die Mitte stellen, das ist es. In die Mitte. Dann kommt er nicht ran», rief er mir hinterher.
    Â«Es gibt Frühstück, Herr Mancini. Kommen Sie.»
    Vor dem Kaffeeautomaten traf ich auf Carelli; seine Schwester hatte ihn auf den Gang hinausgeschoben und war dann zur Arbeit gefahren; sie kam einmal pro Woche, meistens früh am Morgen, brachte ihm die frischgebügelte Wäsche und eine Süßspeise, die sie am Wochenende zubereitet hatte. Carelli schenkte die Kuchen- und Tortenschnitten an das Pflegepersonal weiter, auch an Marta.
    Er grüßte freundlich und bat mich, die Nulldrei zu drücken, nachdem er einen Euro eingeworfen hatte; sitzend schaffte er es nicht, die oberen Wähltasten zu erreichen.
    Â«Der ist für Sie», sagte er, reichte mir den Plastikbecher und warf den nächsten Euro ein.
    Ich bedankte mich und fragte ihn, ob er auch einen Espresso wolle. «Ich kann Ihnen jetzt aber nicht Gesellschaft leisten», sagte ich.
    Â«Das habe ich nicht erwartet.»
    Ich betrachtete ihn von der Seite; Carelli war frisch rasiert und trug ein hellblaues Jeanshemd. Es ist ungerecht, daß er nur dieses eine Leben hat, dachte ich.
    Martas Bemerkung fiel mir ein, sie habe unser Auto gegenüber der Galleria d’Arte Moderna gesehen.
    Ich blickte hinaus auf die Straße; der Morgenverkehr hatte eingesetzt. Der Himmel darüber war blau und sehr nah. Zwischenzwei Kaminen blinkte ein Flugzeug; es verschwand langsam hinter dem Dach eines Hauses. Carelli sah mich an, als hätte ich etwas gesagt. Erst allmählich merkte ich, daß er mich angesprochen hatte und auf eine Antwort wartete.
    Â«Ich komme später zu Ihnen», entschuldigte ich mich und lief den Gang hinunter.
    Â«Stellen Sie das Bett tiefer», sagte ich zu Mariella, «so, daß der Patient beim Sitzen an der Bettkante seine Füße auf den Boden aufsetzen kann.»
    Â«Patient», äffte mich Lucchi nach. Ich hatte nicht bemerkt, daß er im Bad war.
    Â«Ich weiß, alles andere als das: die Ungeduld in Person.»
    Lucchi schob den Kopf hinter der Tür hervor: «Sie sind ja gebildet.» Es dauerte nicht lange, und er kam, reichlich mit Rasierwasser besprengt, zu uns ins Zimmer. «Waren Sie schon auf der Toilette? Ich meine die draußen, neben dem Kaffeeautomaten. Es tut mir leid, daß ausgerechnet Sie heute Dienst haben.»
    Â«Was ist mit der Toilette?» fragte

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