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Über Nacht - Roman

Über Nacht - Roman

Titel: Über Nacht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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das Licht.
    Ich mußte einen Weg finden, Vittorio anzurufen.
    Rino stand hinter mir; ich spürte seine Fingerspitzen an meiner Wirbelsäule.
    Â«Mira, meine Schöne.»
    Â«Wo warst du? Mutter hat dich gesucht, sie wollte mit dir Kaffee trinken, wenn wir schon das Mittagessen absagen mußten.» Vittorio kam aus der Küche, als ich die Tür aufsperrte. Ohne meine Antwort abzuwarten, verschwand er im Wohnzimmer. Es roch nach Nikotin, vielleicht hatte er Besuch, Mauro, der ihm beim Aufräumen im Lager geholfen hatte, aber ich hörte niemanden, nur Vittorios Schritte; er trat auf, daß der Boden vibrierte.
    Â«Wie sieht es aus», fragte ich.
    Â«Noch mehr Regen darf nicht kommen. Ich brauch’ dringend einen neuen Entfeuchter.» Er hockte da, sprach, ohne mich anzusehen. «Wir müssen zu meiner Mutter, es geht nicht anders.»
    Â«Du meinst jetzt gleich?»
    Er nickte, griff sich an die Brusttasche, prüfte, ob der Autoschlüssel noch da war.
    Ich nahm meine Tasche, wartete an der Tür.
    Im Aufzug sprachen wir kein Wort. Wir standen nebeneinander und betrachteten die Schaltknöpfe. Ein paar Sekundenlang überlegte ich, den roten Stop-Hebel nach oben zu drücken und Vittorio hier zur Rede zu stellen, doch dann waren wir schon im Parterre angekommen, gingen zum Auto.
    Kaum hatten wir unsere Straße verlassen, standen wir im Stau.
    Â«Das hätte ich dir gleich sagen können.»
    Vittorio schaute nach vorn. Er ließ die Hände vom Lenkrad auf seinen Schoß fallen und zuckte mit den Achseln. «Es läßt sich jetzt nicht ändern.»
    Der Himmel war noch hell, während Bäume und Häuser ihre Farbe verloren hatten. Ich mußte daran denken, daß manche Vögel ihr Gefieder auf einmal mausern und daher für eine gewisse Zeit flugunfähig sind. Schwäne können sieben Wochen lang nicht fliegen. Wir schlagen selbst die Schwäne, sagte ich mir.
    Vittorio hatte mehrmals das Fenster geöffnet und wieder geschlossen, er schaute immer noch nach vorn, obwohl sich nichts bewegte. Ein entgegenkommender Lastwagen blieb so stehen, daß sein Scheinwerferpaar unsere Gesichter anstrahlte.
    Â«Ruf sie an, daß es später wird», sagte Vittorio.
    Â«Es ist deine Mutter.»
    Er drehte den Kopf. Ich wich seinem Blick aus, schaute zum Fenster hinaus. «Wir kommen ohnehin nicht weiter, also kannst du sie auch selber anrufen.»
    Vittorio fuhr dicht an das vor uns stehende Auto heran, er versuchte den Scheinwerfern auszuweichen. Ich betrachtete seine Hand, die im Licht des Armaturenbrettes alt aussah.
    Ein paar Meter vom Auto entfernt flatterten zwei Tauben auf; der Hund eines Obdachlosen jagte bellend hinter ihnen her, kehrte aber gleich wieder zu seinem Herrn und den Welpen zurück. Die Stadt war voll von Männern und Frauen, die mit ihren Tieren auf Gehsteigen und Plätzen bettelten.
    Â«Sie hebt nicht ab.» Vittorio klappte das Handy zu.
    Â«Sie hört schlechter», sagte ich, während ich einer Nonne in schwarzem Habit zusah, wie sie an der Bushaltestelle eine Haarsträhne unter die Haube steckte.
    Â«Hoffentlich ist sie zu Hause.»
    Â«Soll das ein Scherz sein? Wir fahren auf gut Glück zu deiner Mutter?»
    Â«Nein», sagte Vittorio ruhig, «ich habe vor drei Stunden mit ihr telephoniert. Vielleicht hat sie unsere Verabredung einfach vergessen.»
    Vittorios Mutter erzählte gerne von früher, von ihrer Arbeit als Kosmetikerin in den Nobelhotels von Rom. Sie hatte ein Faible für die Schlager aus den sechziger und siebziger Jahren, für Gino Paoli, Little Tony und Gianni Morandi, die sie wie ein Teenager verehrte. Entsprechend laut und häufig hörte sie deren Musik.
    Vittorio konnte im Schrittempo weiterfahren. Jedesmal wenn die Kolonne stehenblieb, bremste er ruckartig. Überall entdeckte ich zugenagelte Eingänge, grüne Planen, die über Fassaden hingen, von Gerüsten zugestellte Sehenswürdigkeiten.
    Â«Du fährst wie ein Anfänger», sagte ich.
    Â«Suchst du Streit?»
    Â«Den muß ich nicht erst suchen.» Ich konnte mich nicht mehr zurückhalten, zog den Schlüssel aus dem Portemonnaie, den ich in Vittorios Geschäft hatte mitgehen lassen. «Und was ist damit?»
    Vittorio konzentrierte sich auf die Straße, die jetzt vierspurig war, warf aber immer wieder einen Blick auf den Schlüssel, griff sogar einmal nach dem Anhänger, um zu sehen, was

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