Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Über Nacht - Roman

Über Nacht - Roman

Titel: Über Nacht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
Vom Netzwerk:
Kieferverhältnisse zu korrigieren. Ich war überzeugt, daß die beiden Männer vor den quengelnden Kindern und den aufwendigen Essensvorbereitungen ins Café geflüchtet waren und erst in ihre Wohnungen zurückkehren würden, wenn Eltern oder Schwiegereltern eintrafen und es darum ging, den richtigen Wein auszusuchen.
    Mit meiner Konzentration war es nun vorbei; ich blätterte in der Zeitung, warf einen Blick auf die Tagestemperaturen und wartete insgeheim darauf, daß Rino an meinen Tisch kam, aber es verging eine Viertelstunde; nichts geschah. Die beiden Männer am Nebentisch betrachteten gemeinsam Photos; aus den Kommentaren, die sie dazu abgaben, wurde mir klar, daß sie erst vor wenigen Tagen gemeinsam aus Paris zurückgekehrt waren.
    Ich zahlte. Draußen war das leise Nieseln wieder in laut prasselnden Regen übergegangen. Rino sah auf den kleinen Platz hinaus, um sich anschließend wieder seiner Zeitung zu widmen, ohne mich eines Blickes zu würdigen.
    Aufgrund der Enge des Raumes war ich gezwungen, den Männern neben mir zuzuhören; sie verbreiteten über
die Franzosen
nichts als Stereotype.
    Der Mann neben mir trug ein schwarzes Hemd, mit dem er sein Übergewicht zu kaschieren versuchte.
    Unter dem Schirm hatte sich eine kleine Lache gebildet. Ich war froh, daß ich ihn nicht in den Schirmständer gesteckt hatte, der in der Nähe von Rinos Tisch stand. So konnte ich das Café unverzüglich verlassen. Doch als ich nach der Türklinke fassen wollte, sagte Rino: «Bei dem Regen wollen Sie raus? Bleiben Sie doch wenigstens fünf Minuten. Bitte –», er zeigte auf den Stuhl ihm gegenüber. Erst zögerte ich, dann nahm ich Platz. «Ich dachte, Sie erwarten jemanden.» Rino legte die Zeitung beiseite, winkte den Kellner herbei, einen Indonesier, der seit neun Jahren in Rom lebt. Vittorio hatte ihn einmal angesprochen.
    Â«Prosecco?»
    Ich nickte. Für kurze Zeit schwiegen wir beide, als suchte jeder für sich nach einem Gesprächsstoff, der uns auf harmlose Weise von uns ablenken würde. Ich schaute auf den Platz hinaus, um Rinos Blicken auszuweichen. Eine einbeinige junge Bettlerin versuchte sich unter dem Türrahmen eines Hauseingangs vor dem Regen zu schützen.
    Â«Was hat er Ihnen alles erzählt, mein Onkel?»
    Â«Er hat mich gewarnt», sagte ich.
    Â«Typisch.»
    Ich nahm von den Erdnüssen, die der Kellner auf den Tisch gestellt hatte.
    Â«Wahrscheinlich hat er Ihnen erzählt, daß ich geschieden bin. Er hat es nicht einmal zu einer Scheidung gebracht. Aber ich will ihn nicht schlecht machen», Rino schaute zu Boden, «eigentlich war er immer gut zu mir.» Er faltete die Zeitung und legte sie auf den Nachbartisch. «Nur einmal war er richtigsauer, als ich mit einer Keffijeh bei ihm aufgetaucht bin. Was ich mit diesem Beduinentuch wolle, hat er mich angebrüllt, ich sei schließlich kein Bauer aus dem Nahen Osten. Ob ich denn nicht wisse, daß auch die konservativen Monarchen der arabischen Welt damit herumlaufen.» Rino schüttelte den Kopf. «Wir wollten natürlich unsere antiimperialistische, revolutionäre Gesinnung ausdrücken – lachhaft, wenn ich heute daran denke. Entschuldigung, ich langweile Sie.»
    Â«Sie haben studiert?»
    Â«Architektur. Aber nach zwei Semestern habe ich alles hingeschmissen. Eine Weile ist es mir noch gelungen, ihn zu täuschen; ich habe Zeugnisse gefälscht, wegen der Raten, die er mir monatlich überwiesen hat. Dann bin ich denunziert worden. Freunden sollte man nicht trauen.»
    Rino hielt den Prosecco in der Hand, stieß mit mir an. «Auf unser Wiedersehen», sagte er und schob das Schüsselchen mit den Erdnüssen in meine Richtung. «Tja – und dann kam das erste Kind. Marisa und ich trennten uns, als sie im siebten Monat war. Man hat mich natürlich aus Rache verpfiffen, weil ich die beiden im Stich gelassen habe. Tatsache war, daß mein Onkel das Geld nicht mehr auf mein Konto, sondern auf Marisas Konto überwiesen hat; das wußte ich aber nicht. Er hat es hinter meinem Rücken getan, wie so vieles. Und Sie», fragte Rino, «aus welcher Gegend kommen Sie?»
    Â«Aus Vicenza. Aber ich bin nach der Schule mit meiner Mutter nach Bozen gezogen, allerdings nicht sehr lange, ich hab’s dort nicht ausgehalten.»
    Â«Ich war nie in dieser Region. Ich hab’ mal einen kennengelernt, der

Weitere Kostenlose Bücher