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Über Nacht - Roman

Über Nacht - Roman

Titel: Über Nacht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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in die Küche, um die Cannelloniund die Crostata einzupacken. «So hat er morgen etwas zu essen», sagte sie zu mir.
    Vittorio schob mich ins Treppenhaus.
    Vom unteren Stock drang Musik herauf; jemand lief die Treppen hinunter. «Wenn du jetzt gehst, brauchst du nie mehr wiederzukommen», rief eine dunkelhaarige Frau. Sie trat einen Schritt zurück, verschwand in der Wohnung, als sie uns bemerkte. Ich beugte mich über das Geländer, konnte aber nicht erkennen, wer davongelaufen war.
    Auf den äußeren Simsen der Treppenhausfenster nisteten Tauben, ich hörte sie gurren.
    Â«Warum hast du dich rasiert?» fragte ich.
    Vittorio blieb auf dem Zwischenpodest stehen, drehte sich nach mir um. In diesem Augenblick rief jemand den Aufzug; es schepperte und krachte. «Ich rasiere mich jeden Tag.»
    Die Aufzugseile zitterten. Ich bemerkte zwei verbogene Geländerstäbe.
    Â«Die Beine», sagte ich.
    Auf dem Krümmling lag ein schmutziges Stofftier, eine Maus mit einem langgezogenen, schlaffen Körper. Es fehlte das Füllmaterial.
    Â«Ach, einfach so.» Vittorio nahm die letzten zwei Stufen auf einmal. Zwischen zwei abgestellten Kinderwägen stand ein junger Mann und zündete sich eine Zigarette an. Er stieß mehrmals mit der Ferse gegen die Wandverschalung, dann drückte er die Zigarette aus und ging nach oben.
    Vittorio zog mich an sich heran. Als ich seine Zunge an meinen Lippen spürte, wich ich ihm aus. Auf dem Gehsteig streifte ich eine Frau; ich hatte sie nicht kommen sehen. Sie trug ihre Einkäufe nach Hause.
    Â«Ist dir kalt?» fragte ich. Wir saßen vor dem Fernseher, starrten auf den Bildschirm. Vittorio erhob sich, um seinen Pulloverabzustreifen, dabei schlug er mit der Hand gegen die Stehlampe; sie kippte und fiel zu Boden. Der Schirm war leicht beschädigt. Es war die Philippe-Starck-Lampe, die ich ihm vor zwei Jahren zum Geburtstag geschenkt hatte. Er stellte sie wieder auf, warf den Pullover Richtung Stuhl und setzte sich.
    Â«Willst du das sehen?» fragte er. Ohne meine Antwort abzuwarten, schaltete er um. Im ersten Programm liefen die Nachrichten. Er zappte weiter.
    Auf einem Flugfeld landeten Vögel; im Hintergrund sah man zwei Alitalia-Maschinen.
    Â«Nicht drücken», sagte ich. Vittorio legte die Fernbedienung auf die Armlehne und ging in die Küche.
    Jemand sprach von der Kollision von Zugvögeln mit Flugzeugen, von einem Touristenflieger, der in einen Taubenschwarm geraten war. Zwei Menschen hatten beim Absturz der Maschine in der Nähe des Flughafens Linate in Mailand das Leben verloren. Schon 1984 habe man versucht, vier Falken einzusetzen, um die Vögel auf dem Flugfeld zu vertreiben, aber die Falken waren zu faul gewesen. Wenn man schon andere Tiere auf die Vögel loslassen müsse, meinte eine Vogelschützerin, dann doch gleich Hunde und nicht die vom Aussterben bedrohten Falken. Die seien schließlich nicht dazu geboren worden, ihr Leben auf den Fäusten und in den Käfigen der Falkner zu verbringen. Border Collies eigneten sich hervorragend, sagte die Frau.
    Andere kamen zu Wort: Piloten, Ornithologen, Flughafenbedienstete. Einer kritisierte die Umwelt. Paradoxerweise seien ausgerechnet die Flugfelder zu Rückzugsgebieten für Tiere geworden. Auf dem Pariser Flughafen Orly lebten zweitausend Kaninchen, sie hielten die Hälfte des 1 630 Hektar großen Flughafengeländes besetzt. Der Mann lächelte, während er sprach, als freute er sich über die angeknabberten Kabelund die durch den Tunnelbau gefährdete Pistensicherheit. Man wolle nun Frettchen in die Höhlen der Kaninchen jagen und die aufgeschreckten Tiere mit Netzen fangen. «Wie die alten Römer», sagte ein Historiker, «die hätten es nicht anders gemacht.»
    Â«Interessiert dich das wirklich?» Vittorio lehnte am Türrahmen und trank aus der Bierflasche.
    Â«Eigentlich interessiert mich, warum du dir die Beine rasierst. Machst du das jetzt immer?»
    Â«Ich wollte einfach mal erleben, wie sich das anfühlt.» Vittorio drehte sich um und ging wieder in die Küche. War er bei einer Kosmetikerin gewesen? Ich hörte das Wasser laufen, es prasselte unregelmäßig in die Spüle. Das Licht der Straßenlaterne flackerte; vielleicht war es schon seit Tagen so. Ich drehte den Ton leiser, hüllte mich in den Bademantel, zog den Gürtel enger um meine Taille, lockerte ihn wieder. Einer der Alten fiel

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