Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Über Stock und Runenstein

Über Stock und Runenstein

Titel: Über Stock und Runenstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte MacLeod
Vom Netzwerk:
Svenson.«
    »Der Ärmste. Gott steh ihm bei.«
    Mit diesem frommen Ausspruch trennten
sich die beiden Freunde. Shandy arbeitete sich so weit durch die Dornen vor,
bis er Thorkjeld Svenson und die Archäologen erreicht hatte. Sie waren gerade
dabei, vorsichtig die Erde um den Runenstein zu untersuchen, und begutachteten
jedes einzelne Staubkorn. Shandy konnte sich nichts Eintönigeres vorstellen,
doch keiner der drei Männer machte einen gelangweilten Eindruck.
    »Präsident Svenson«, sagte er.
    »Arrgh!« erwiderte dieser, ohne die
Augen auch nur von der Erde zu lösen.
    »Was ist mit Ihrem Onkel Sven
passiert?«
    »Levitation.«
    »Wie bitte?«
    »Unten, oben, unten. Kopflandung. Das
Beste für ihn. In seinem Alter. Hätte sich glatt die Hüfte brechen können.«
    »Könnten Sie mir das bitte etwas
genauer erklären, wenn es Ihnen nichts ausmacht? Ihr Onkel war hier bei Ihnen
am Runenstein, richtig?«
    »Ur.«
    »Was machte er denn gerade?«
    »Doktor Svenson untersuchte eine Münze,
die wir gefunden hatten«, sagte der jüngere und enthusiastischere der beiden
Archäologen. »Ein wunderbares Stück. Norwegisch. Zwölftes Jahrhundert.«
    »Vielleicht sogar zehntes«, sagte der
ältere Archäologe. »Vielleicht ist es nicht einmal norwegisch.«
    »Aber da muß er sich doch noch auf dem
Boden befunden haben, oder nicht?« fragte Shandy, der sich bemühte, auch alles
richtig zu verstehen.
    »Richtig«, sagte der Präsident.
    »Und was geschah dann?«
    »Auf einmal war er oben in dem Baum da
vorne«, antwortete der jüngere Archäologe.
    »Oder in dem Baum direkt daneben«,
ergänzte der ältere Archäologe.
    »Und dann?« fragte Shandy.
    »Dann war er schon wieder unten, mit
dem Kopf zuerst. Hat sich fast den Schädel auf dem Runenstein aufgebrochen«,
antwortete der jüngere Archäologe.
    »Den Stein hat er um mindestens 20
Zentimeter verfehlt«, sagte der ältere Archäologe.
    »Wollen Sie damit sagen, daß sich all
das sozusagen in, eh, einem Moment zugetragen hat?«
    »Ganz genau«, sagte der jüngere
Archäologe.
    »Oder genauer gesagt, in mehreren
Momenten«, widersprach der ältere Archäologe. »Ich würde meinerseits den
Zwischenfall in drei Hauptphasen unterteilen.«
    »Hab’ ich ja schon gesagt«, knurrte
Svenson, »unten, oben, unten.«
    »Ich verstehe«, sagte Shandy, »und wie
hoch oben war er?«
    »Mindestens vier oder fünf Meter«,
sagte der jüngere Archäologe.
    »Keinen Zentimeter höher als
dreieinhalb Meter«, sagte der ältere Archäologe.
    »In jedem Fall eine beträchtliche
Fallhöhe für einen Mann in seinem Alter, darin stimmen Sie doch hoffentlich
überein?«
    »Können wir dazu das genaue Alter von
Doktor Svenson erfahren?« fragte der ältere Archäologe.
    »Letzten November 102«, knurrte
Thorkjeld Svenson. »Wollen Sie eine Kopie der Geburtsurkunde?«
    Der ältere Archäologe sah Thorkjeld
mißtrauisch an, als ob er jeden Moment einen weiteren Levitationsversuch
erwartete, akzeptierte aber schließlich die Angaben des Präsidenten.
    »Ich glaube, wir können unter diesen
Umständen getrost mit Professor Shandys Theorie übereinstimmen, daß es für
einen Mann in Doktor Svensons Alter eine ganz beträchtliche Fallhöhe war. Noch
erstaunlicher ist allerdings die Tatsache, daß ein beinahe 103jähriger in der
Lage ist, so schnell eine so große Höhe zu erreichen.«
    »Dem stimme ich voll bei«, sagte
Shandy. »Haben Sie zufällig gesehen, wie er den Baum hochstieg?«
    »Teufel nein«, grollte Thorkjeld
Svenson, »sonst hätte ich ihn doch aufgehalten.«
    »Hat er denn nicht erzählt, wie es
passiert ist?«
    »Er sagte, Orm habe ihn durch die Luft
geschleudert.«
    »Unwissenschaftlich«, fauchte der
ältere Archäologe.
    »Er ist ordentlich mit dem Kopf
aufgeschlagen«, sagte der jüngere Archäologe.
    Shandy räusperte sich. »Hat einer der
Herren hier zufällig Robert Frost gelesen?«
    »Urgh«, sagte Thorkjeld Svenson.
    »Wieso?« fragte der ältere Archäologe.
    »Ich habe mal damit angefangen«,
gestand der jüngere Archäologe, »aber ich bin nur bis zu der Stelle ›Es gibt
etwas, das keine Mauern liebt‹ gekommen, und das ist mir wie eine Beleidigung
meiner Zunft erschienen. Ich brachte es einfach nicht übers Herz,
weiterzulesen.«
    »Hm, das ist verständlich. Worauf ich
hinauswill, ist, daß Frost in einem seiner Gedichte erwähnt, wie kleine Jungen
an Birkenschößlingen schaukeln. Das haben wir früher auch gemacht, als ich noch
jünger und sehr viel leichter war. Junge

Weitere Kostenlose Bücher