Ueberdosis
dachte, und irgendwie war er überrascht, überhaupt einmal jung gewesen zu sein. Es kam ihm vor, als wäre er kurz nach dem Aussterben der Dinosaurier geboren.
Sophie kam an seinen Tisch und sah ihn kritisch an.
»Ich bin der letzte der Dinosaurier«, sagte er deprimiert. »Weißt du, wie man sich fühlt, wenn man der letzte der Dinosaurier ist? Einsam. In erster Linie einsam.« Er dachte kurz nach. »Und durstig. Bring mir einen Scotch. Einen dreifachen.«
»In deinem Zustand solltest du keinen Scotch trinken«, erwiderte sie. »In deinem Zustand solltest du überhaupt nichts trinken. Du brauchst keinen Scotch, sondern die letzte Ölung.«
»Keine Diskussionen. Bring mir einen dreifachen Scotch. Ich bin zu alt, um mich auf Öl umzustellen.«
Sophie schwebte davon. Die anderen Gäste – ein verliebtes Pärchen, so jung, gesund und schön, daß es schon widerwärtig war, und die vier Parkstudenten mit der sympathischen Vorliebe für Weltuntergangsprophezeiungen – kümmerten sich nicht um Markesch und sein mißgestaltetes Gesicht. Draußen wurde der Nebel dichter und verschluckte die Häuser auf der anderen Straßenseite; für immer, wie Markesch hoffte. Er hatte noch nie etwas für die Häuser auf der anderen Straßenseite übrig gehabt: wenn es nach ihm ginge, wären sie längst abgerissen und durch einen Park ersetzt worden. Oder durch eine Whiskybrennerei.
Wenn er genau darüber nachdachte, zog er die Whiskybrennerei dem Park vor.
Sophie brachte den Scotch.
Er sah sie an, ihre Schlafzimmeraugen, ihren Schmollmund, die Konturen ihrer Apfelbrüste unter der dünnen weißen Bluse, und er fragte sich, ob sie einen Freund hatte. Verdammt, er wußte so gut wie nichts über Sophies Privatleben! Was trieb sie, wenn sie nicht gerade den männlichen Cafegästen den Verstand raubte? Studierte sie? Baute sie heimlich Bomben für den D-Day der feministischen Revolution? Züchtete sie Marihuana auf dem Balkon? Dichtete sie erotische Verse?
»Irgend etwas geht in deinem Kopf vor«, stellte sie fest, »und ich wette, es ist nichts Vernünftiges.«
»Könntest du dir vorstellen, dich in den letzten der Dinosaurier zu verlieben und ihn bis an sein Lebensende glücklich zu machen?« fragte Markesch.
Sophie strich ihre brünette Lockenpracht zurück. »Ich könnte mir vorstellen, den letzten der Dinosaurier an einem stillen Plätzchen zu begraben, wo er in aller Ruhe versteinern kann. Übrigens, der Südfriedhof hat angerufen. Du bist zur Leiche des Jahres gewählt worden und hast einen neuen Grabstein gewonnen. Du sollst sofort zurückrufen und einen Termin mit dem Totengräber ausmachen. Er heißt Enke.«
»Enke? Was will er von mir?«
»Was soll er schon wollen?« Sie zuckte die Schultern. »Dich irgendwo verscharren, was sonst?«
Markesch warf ihr einen finsteren Blick zu, angelte sich das Telefon und wählte die Nummer des Kölner Rauschgiftdezernats. Es dauerte eine ganze Weile, bis Enke sich meldete, und als er endlich an den Apparat ging, klang seine Stimme gereizt.
»Verdammt, es ist Mittagszeit! Auch die Polizei muß hin und wieder essen. Rufen Sie in einer Stunde noch einmal an und …«
»Aber der Boß kann keine Stunde länger warten. Er hat da diese Riesenkoffer voller Bestechungsgeld, und er will sie endlich loswerden.«
»Markesch?« Enke wirkte erleichtert und enttäuscht zugleich. »Bist du es wirklich? Du lebst? Dann bist du also nicht an vorzeitiger Vergreisung gestorben, wie diese junge Frau behauptet hat?«
»Das muß Sophie gewesen sein. Sie hält seit Jahren meine Grabrede. Sie liebt mich. Denk dir nichts dabei. Was ist los? Warum wolltest du mich sprechen?«
Enke räusperte sich. »Arbeitest du noch immer an dem Fall Maaßen?«
»Ja. Warum?«
Enke räusperte sich erneut. »Ich möchte dich um einen Gefallen bitten. Ich möchte, daß du vergißt, daß du mit mir darüber gesprochen hast. Es ist illegal, Einzelheiten aus den Polizeiakten an Außenstehende weiterzugeben, verstehst du? Ich könnte Schwierigkeiten bekommen, wenn du ausposaunst, daß ich dir aus alter Freundschaft geholfen habe. Und du willst doch deinem alten Kumpel Enke keine Schwierigkeiten machen, oder?«
»Du weißt, daß ich meine Informanten niemals preisgebe – oder nur, wenn es wirklich sein muß«, erklärte Markesch.
»Ha, ha«, machte Enke. »Sehr witzig. Ich kann mich also auf dich verlassen?«
»Wie kommst du darauf, daß mich jemand danach fragen wird?«
»Es war nur ein Gedanke«, wich Enke
Weitere Kostenlose Bücher