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Überfahrt mit Dame

Überfahrt mit Dame

Titel: Überfahrt mit Dame
Autoren: Henry James
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würden und dergleichen, ja. Aber vielleicht muss ich Sie noch um etwas anderes bitten. Ich spüre, dass irgendetwas geschehen wird.«
    »Heute Morgen habe ich zu Jasper genau dasselbe gesagt.«
    »Und was hat er geantwortet?«
    »Er sah nur unschuldig drein – als glaubte er, ich meinte einen Nebel oder Sturm.«
    »Um Himmels willen – das ist es nicht! Ich werde nie wieder hilfsbereit sein«, fuhr Mrs. Nettlepoint fort. »Nie wieder lasse ich mir ein Mädchen auf diese Weise andrehen. Immer muss man dafür bezahlen – es gibt nur lästige Komplikationen. Ich fürchte mich vor dem, was nach unserer Ankunft geschieht. Sie wird ihre Verlobung lösen, es wird eine schreckliche Szene geben. Ich werde darin verwickelt sein und mich um sie kümmern und siebei mir behalten müssen. Ich werde bei ihr bleiben müssen, bis man sie zurückschicken kann, oder sie sogar nach London begleiten. Was sagen Sie zu alldem?«
    Ich lauschte respektvoll. Dann bemerkte ich: »Sie haben Angst vor Ihrem Sohn.«
    Auch sie schwieg einen Moment. »Das hängt davon ab, was Sie darunter verstehen.«
    »Es gibt Dinge, die Sie ihm sagen könnten – mit Ihrem Feingefühl, denn ich weiß, dass sie darüber verfügen, wenn Ihnen danach ist.«
    »Höchstwahrscheinlich, aber was kann mein Feingefühl schon bewirken? Außerdem habe ich ihm schon alles gesagt. Das heißt, ich habe ihm das Wesentliche gesagt – dass er der Grund dafür ist, dass man unablässig über sie redet.«
    »Daraufhin hat er Sie natürlich gefragt, woher Sie das wissen wollen, und Sie haben entgegnet, Sie hätten es von mir.«
    »Ich musste es ihm doch sagen. Er sagt, es gehe Sie nichts an.«
    »Ich wünschte, er würde mir das ins Gesicht sagen«, bemerkte ich.
    »Das wird er tun, wenn Sie ihm nur den geringsten Anlass dazu geben. Und genau das ist es, womit Sie mir helfen können. Streiten Sie mit ihm – im Streiten ist er ziemlich gut, das wird ihn ablenken und von ihr fernhalten.«
    »Dann bin ich bereit«, erwiderte ich, »die Angelegenheitmit ihm während der restlichen Überfahrt zu diskutieren.«
    »Sehr schön. Ich verlasse mich auf Sie. Aber er wird Sie fragen, genau wie er mich gefragt hat, was zum Teufel er Ihrer Meinung nach tun soll.«
    »Zu Bett gehen!« Ich fürchte, ich lachte dabei.
    »Oh, das ist kein Witz.«
    Ich wollte sie nicht ärgern, verlieh aber meiner Meinung deutlich Ausdruck. »Genau das habe ich Ihnen von Anfang an gesagt.«
    »Ja, aber triumphieren Sie nicht. Ich hasse Leute, die triumphieren. Jasper fragt mich«, fuhr sie fort, »warum er sich darum scheren sollte, dass man über sie redet, wenn es ihr selbst egal ist.«
    »Ich werde ihm sagen, warum«, erwiderte ich. Mrs. Nettlepoint meinte, sie sei mir unendlich dankbar, und wiederholte, dass sie nun ins Feld rücken wolle.
    Noch am selben Abend hielt ich an Deck Ausschau nach Jasper, aber die Umstände zeigten sich mir nicht günstig. Ich fand ihn – das heißt, ich mutmaßte, dass er sich abermals mit Miss Mavis hinter dem Rettungsboot versteckt hielt, doch wäre es unnötig brutal gewesen, in ihre Zweisamkeit hineinzuplatzen, so dass ich unser Gespräch auf den nächsten Tag verschob. Ich ergriff beim Frühstück gleich die erstbeste Gelegenheit, um sicherzugehen. Er war im Salon, als ich eintrat, und wollte gerade den Tisch verlassen, aber ich hielt ihn auf und fragte, ober ein wenig später an Deck eine Viertelstunde Zeit für mich hätte – ich wolle ihm etwas Bestimmtes mitteilen. Er sagte: »Aber ja, wenn Sie wünschen« – und zeigte sich dabei kaum überrascht, jedoch reichlich selbstsicher, wie ich fand. Nachdem ich gefrühstückt hatte, traf ich ihn rauchend am Vorderdeck und begann ohne Umschweife: »Ich will Ihnen etwas sagen, was Ihnen gar nicht gefallen wird – Ihnen eine Frage stellen, die sie wahrscheinlich als unverschämt abtun werden.«
    »Das werde ich gewiss tun, wenn sie es ist«, sagte Jasper Nettlepoint.
    »Nun, meine Warnung sagt Ihnen natürlich auch, dass es mir egal ist, sollten sie es tun. Ich bin um einiges älter als Sie und – seit vielen Jahren – ein Freund Ihrer Mutter. Es gibt nichts, was mir ferner liegt, als mich einzumischen, aber ich glaube, dass diese Umstände mir ein gewisses Recht verleihen – eine Art Privileg. Zudem wird meine Frage für sich selbst sprechen.«
    »Warum kommen Sie nicht endlich zur Sache?«, fragte mein junger Mann durch seine Rauchschwaden.
    Wir blickten einander kurz in die Augen. Was war das Feingefühl seiner Mutter
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