Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen
Buch enthalten. Er hat ein Atelier in Jerusalem, und seine Arbeiten zeigen auch heute noch Spuren der durchlittenen Qual.
Aber auch die in diesem Band enthaltenen primitiven Zeichnungen, dem durchschnittlichen Ausdrucksvermögen eines Kindes entsprechend, schienen mir genauso wert, gezeigt zu werden. Denn auch sie legen – vielleicht unmittelbarer als die der beiden Künstler, bei denen das Talent subtilere Ausdrucksformen fand – Zeugnis ab von den Empfindungen des Kindes in dieser Welt des Völkermordes, wie sie die mündlichen Aussagen vor Gericht doch nur andeuten können. Selbst die Berichte derjenigen, die einst als Kinder im Lager waren, können nach 20 Jahren nicht mehr eine getreue Wiedergabe ihrer damaligen Empfindungen sein. Ich habe in diesem Buch auch Beispiele aufgeführt, die zeigen, daß selbst die schlimmsten Peiniger noch menschlicher Regungen fähig waren und daß es ein verbrecherisches System war, das sie zu Unmenschen erniedrigen konnte. Wenn ein SS-Mann einem Kind zärtlich über das Haar strich, bevor er es erschoß, wie es ihm nach Ideologie und Befehl geboten schien, dann war dies in der Umgebung des Konzentrationslagers und der rationalisierten Mordmaschinerie von Birkenau geradezu abstrus. Tatsächlich aber sagt es mehr aus über die Menschen, ihre Unzulänglichkeit und das Verbrechen, das man an ihnen beging, indem man sie zu Mördern degradierte.
Es sind nur einige derartige Beweise von Menschlichkeit, derer ich habhaft werden konnte, in diesem Buch aufgezeichnet.
Es war nicht leicht, sie zusammenzutragen.
Sie sind natürlich vor Gericht, wo es darum ging, Verbrechen abzuurteilen, und wo menschliche Handlungen keine Rolle spielten, kaum erfaßt worden. Denn die Hand, die über den Kopf des kleinen Mädchens strich, bevor sie den Mord verübte, macht das Verbrechen nicht weniger strafwürdig. Ich habe darum Bücher und Dokumente durchgesehen und dabei festgestellt, daß selbst Himmler solcher Gefühle und Reaktionen fähig war. Ich habe auch in Gesprächen mit ehemaligen Häftlingen der Konzentrationslager versucht, solche „guten“ Taten zu erfahren. Das war keineswegs leicht, weil die wenigsten sich daran erinnern konnten. Das meiste erfuhr ich von solchen, die es irgendwie fertiggebracht hatten, das Erlebte als historisches Geschehen zu begreifen. Aber sie sind selten. Zu ihnen gehört die Wiener Ärztin Dr. Ella Lingens-Reiner. Sie kam nach Auschwitz, weil sie allen Gefahren zum Trotz versucht hatte, Juden über die Grenzen in die Freiheit zu schmuggeln, und noch im Lager hat sie das Helfen zu ihrer ersten Pflicht gemacht. Von ihr stammen die meisten, die anschaulichsten Berichte von solchen menschlichen Regungen. Ihre Beobachtungsgabe war durch die Gefahr geschärft worden. Weit häufiger aber waren die Fälle, in denen man es ablehnte, sich mehr als nötig erinnern zu müssen. Die Erinnerung an das Grauen hatte ohnehin in den meisten alle anderen Erlebnisse aus jener Zeit zurückgedrängt. Und jedes nochmalige Rückblenden verursachte Qualen, gegen die sie sich bewußt oder unbewußt natürlich wehrten. Ein mir befreundetes polnisches Ehepaar hat mir das so recht zum Bewußtsein gebracht. Beide waren Häftlinge in Auschwitz gewesen. Beide hatten nicht mehr als nötig miteinander von den Schrecken gesprochen, die sie durchgestanden hatten. Als ich der Frau sagen ließ, ich würde gern etwas über ihre Erinnerungen im Kinderblock von Birkenau hören, konnte sie eine Nacht lang nicht schlafen. Die Frage hatte so schreckliche Erinnerungen aufgewühlt. Sie und ihr Mann begannen nun erst, ihre Erlebnisse einander mitzuteilen.
Viele blieben mir eine Antwort schuldig, obwohl sie selbst oder ihre Kinder derartigen Handlungen der Menschlichkeit ihr Leben verdanken. Ich habe dafür Verständnis, obwohl ich es bedaure, weil es mir um der historischen Wahrheit willen notwendig erscheint, auch diese Seite zu zeigen. Nicht verstanden habe ich indes, wenn mir der Vorwurf gemacht wurde, ich beabsichtige damit, die SS-Verbrecher als Menschen zu zeigen und nicht als die Bestien, die sie waren. So schrieb mir ein Kollege, daß ihm das „Einstreuen von guten Taten … dem Thema nicht völlig angemessen erschiene“. Diese Einstellung mag darauf zurückzuführen sein, daß der Schreiber Grauen und Leid nicht am eigenen Leibe erfahren hat. Diejenigen, die durch die Hölle gingen, begriffen meine Absicht ohne Erklärung, auch wenn sie mir aus eigenem Unvermögen die Antwort versagen mußten.
Es
Weitere Kostenlose Bücher