Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen
kluge Politik gewesen sein. Sie hat aber nicht verhindern können, daß die Bundesregierung die Argumente der Araber immer stärker zu den ihren machte. Floskeln wie die „legitimen Rechte der Palästinenser“ und die „Errichtung einer staatlichen Autorität in den zu räumenden Gebieten“ – ein Ausdruck, den selbst in Bonn niemand richtig zu interpretieren wußte – gehörten nun zum Standard-Vokabular der Deutschen.
So kann es nicht verwundern, daß man im Sommer 1979 von einem Tiefstand der Beziehungen sprach, der noch dazu durch den Regierungswechsel in Israel gefördert wurde. Der neue Regierungschef Menachem Begin war für seine kompromißlose antideutsche Haltung bekannt. Die Tatsache, daß der deutsche Bundeskanzler Schmidt einer Einladung zu einem Besuch Israels jahrelang nicht nachkam, tat ein übriges. Als dann noch im gleichen Jahr die Europäische Gemeinschaft ihre Erklärung von Venedig veröffentlichte, an der die Bundesregierung entscheidenden Anteil hatte, schien es keinerlei Gemeinsamkeiten zwischen Israel und der Bundesrepublik mehr zu geben. Forderungen wie die, die PLO solle an den Friedensbemühungen im Nahen Osten teilhaben, ließen den Regierungschef Israels überschäumen vor Wut. Eine häßliche Kontroverse, in der Premierminister Begin Bundeskanzler Schmidt mit ungewöhnlicher Schärfe angriff und Zweifel an dessen Vergangenheit äußerte, war die Folge. Schmidt hatte vor dem deutschen Fernsehen von einer deutschen Verpflichtung den Palästinensern gegenüber – „den Vertriebenen und Flüchtlingen von der Westbank und von der Ostbank“ – gesprochen, aber mit keinem Wort eine Verpflichtung gegenüber den Juden erwähnt. Dies war ganz offensichtlich ein Ausdruck gegenseitiger Antipathien und des Unverständnisses des einen für die Politik des anderen. Der Einmarsch der Israelis im Libanon im Juni 1982 führte in der Bundesrepublik zu einer Flut von Protesten, die in Wellen von anti-israelischen Äußerungen gipfelten.
Kurz nach seiner Wahl zum Bundeskanzler versicherte Helmut Kohl, der in der Opposition die Nahost-Politik der Bundesregierung verurteilt hatte, daß er baldmöglichst Israel besuchen werde – offensichtlich ein Versuch, die Beziehungen zu Israel zu verbessern. Mit Staunen und Verwunderung verfolgten dann allerdings die Israelis diesen Mann, der da so einfach in Israel erklärte, die ganze Vergangenheit ginge ihn eigentlich nichts an, da er zu spät geboren sei, um von der Hitlerzeit belastet zu sein. Überdies schien es, als sei zwischen Premierminister Schamir und Bundeskanzler Kohl kein rechtes Gespräch zustandegekommen. Es wurden Monologe gehalten, in denen der eine immer wieder die Notwendigkeit hervorhob, Saudi-Arabien mit Waffen auszustatten, um es gegen eine kommunistische Infiltration abzusichern, während der andere die Gefahren betonte, die für Israel mit einer Waffenlieferung an Saudi-Arabien verbunden wären, das wie die übrigen arabischen Staaten nichts anderes im Sinn hätte, als Israel zu vernichten und zu diesem Zweck auch Waffen an die Israel aktiv bekämpfenden Terrororganisationen lieferte.
Es schien, als sei die gegenseitige Achtung und das Bemühen, den Standpunkt des anderen zu verstehen, die trotz aller Belastungen die Anfänge der Beziehungen zwischen Bonn und Jerusalem charakterisiert hatten, gänzlich verlorengegangen. Zwar hatte es die Bundesrepublik nie an politischem Kalkül in ihren Beziehungen zu Israel fehlen lassen, aber sie hatte doch den Versuch unternommen, durch Gesten des guten Willens und Verständnis für Israels schwere Situation Israel eine gewisse Hilfe angedeihen zu lassen. Davon war nun nicht mehr viel zu spüren.
Ohne Zweifel machte die Rede des deutschen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker anläßlich des 40. Jahrestages des Kriegsendes am 8. Mai 1985 einen großen Eindruck auf Israel. Er hatte als erster deutscher Staatsmann offen bekannt, daß, obgleich die Ausführung der Verbrechen gegen die Juden in den Händen weniger gelegen hatte und sie vor den Augen der Öffentlichkeit abgeschirmt gewesen waren, jeder Deutsche damals miterleben konnte, was jüdische Mitbürger erleiden mußten. „Wer seine Augen und Ohren aufmachte, wer sich informieren wollte, dem konnte nicht entgehen, daß Deportationszüge rollten.“ Aber diese Rede, die so deutlich mit der nazistischen Vergangenheit Deutschlands abrechnete, konnte die erkalteten Beziehungen zwischen beiden Staaten nicht wieder erwärmen. Israels Politik
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