Überleben auf Partys: Expeditionen ins Feierland (German Edition)
der Bildschirm zu Silke zeigt und startet eine Biertrink-App. Das Display füllt sich mit Bier und sieht jetzt aus wie ein volles Glas. Onkel Gerd hält die Ecke des Smartphones an die Lippen und tut so, als ob er trinkt. Das Bier fließt gluckernd aus dem Display raus. Kleine Blubberbläschen bleiben als Grafik von innen am »Glas« zurück. Silke lächelt verlegen. Onkel Gerd lacht sich kaputt. Onkel Uwe trinkt ein echtes Bierchen. Es ist schon sein fünftes, Jannis hat mitgezählt. Das sind 2,5 Liter. Jannis ist gut in Mathe.
Die fremden Männer reden mit Onkel Uwe über Menschen, die nicht da sind.
»Uwe, alter Saufhahn. Was macht eigentlich der Klöpfel?«
»Der Fabian? Der ist Kinderarzt geworden, auf Borkum.«
Jannis’ Papa, der den Gulasch schnell herunterschlingt, damit er wieder pflastern kann, sagt zwischen zwei Bissen: »Nein, in Borken.«
»Borken und Borkum ist aber ein gewaltiger Unterschied.«
»Der ist in Borken.«
»Red keinen Scheiß, der ist auf Borkum.«
Onkel Gerd startet die Biertrink-App noch mal und zeigt der Silke jetzt, was passiert, wenn man das virtuelle Glas zu schnell austrinkt: Es zerbricht. Feine Risse erscheinen auf dem Display. Onkel Gerd lacht sich kaputt. Opa Friedhelm sagt, die Gabel wie einen Rechen gulaschrot in die Luft gestreckt: »Das wird hier richtig Zeit mit dem Laub. Die Nachbarn reden ja schon.«
Tante Carina rollt kurz mit den Augen, dreht sich zu ihrer Freundin Silke, neben der Onkel Gerd nun die dritte Telefontrinkrunde startet, und sagt: »Silke, sollen wir wieder Steine verladen gehen?«
»O ja, bitte!«
Was sagt die Wissenschaft? ➙ »Es gibt zwei Phasen im Leben eines Mannes, in denen er sich fanatisch für neueste technische Geräte und ihre Spieloptionen interessiert«, sagt Professor Martin Manninger vom Institut für männliche Makroprozesse (IfmM) in Memmingen. »Es sind die zwei Phasen der materiell abgesicherten Sorglosigkeit: die Adoleszenz und die Rente. Hier herrschen Zeit und Raum, sich für Gimmicks zu interessieren. In den Jahrzehnten dazwischen ist der Mann froh, wenn er sein Leben hat und die ihm zugetanen Wesen trotz der Finanzkrise und dem europäischem Fiskalsauger in seiner Geldbörse möglichst reibungslos mit Kohlenhydraten und Heizungswärme versorgt bekommt.«
Es dämmert schon, als Jannis und sein Vater das Gelände bis zu den Rändern gepflastert haben. Nur noch die Lücken müssen gefüllt werden, weswegen nun der Betonsteinknacker zum Einsatz kommt. Drückt man den gelben Hebel dieses Geräts, spaltet es den Stein ohne Mühe. Ein erhebendes Gefühl von Macht und Kraft, weswegen – kaum dass Jannis den ersten Stein halbiert hat – plötzlich alle Männer neben dem Gerät Schlange stehen. Die fremden Nachbarn, Onkel Uwe, der bereits gefährlich schwankt, und Onkel Gerd, der im Telefon nachsieht, ob es womöglich auch eine Betonsteinknacker-App gibt. Jeder will mal spalten.
Jannis’ Papa schüttelt den Kopf, weil der Steinnachschub auf diese Weise zu lange dauert. Die Männer streiten sich um den gelben Hebel. Das Radio spielt Bruno Mars zum dritten Mal. Herr Mars hat heute den ganzen Tag nichts getan, »nothing at all/ nothing at all/ nothing at all«, wiederholt er, und Jannis fragt sich, warum sie ein Lied dreimal an einem Tag spielen, wo es doch so viele Lieder auf der Welt gibt.
»Ich lass knacken!«, lallt Onkel Uwe, als er den Hebel drückt, und die eine Hälfte des Steins fällt ihm auf den Fuß. Tante Carina und ihre Freundin Silke stapeln derweil alle ganzen Steine, die übrig geblieben sind und nicht verbaut werden mussten, im Innenhof, damit niemand sie von der Straße klaut. Die fremden Männer beobachten es, während sie darauf warten, knacken zu dürfen, schütteln lachend den Kopf und sagen: »Die Frauen und ihr Ordnungswahn, was?« Onkel Gerd lässt das Knacken Knacken sein, geht zu Tante Carina und Silke herüber, stellt sich neben sie, während sie ächzend den quadratischen Turm aus Steinen bauen, zückt sein Handy, zieht die Brauen hoch und kippt sich glucksend, den Blick mit flatternden Brauen auf Silke gerichtet, ein virtuelles Bier in den Hals.
Um acht Uhr abends, es ist längst dunkel geworden, fährt ein Auto vor. Jannis kennt die Leute, es sind Freunde von Tante Carina. Onkel Andy und Tante Monika. Sie wollten auf jeden Fall heute vorbeikommen, und da sind sie ja nun auch. Jannis’ Papa und der Kai ziehen auf Knien rutschend unter Bauleuchten mit Kellen die schrägen Zementränder
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