Überleben auf Partys: Expeditionen ins Feierland (German Edition)
wiederholt geschlagen wurde.«
Holger stutzt: »Wie kommen Sie denn so schnell hierher? Haben Sie eine Straße weiter den ganzen Tag auf den Notruf gewartet, oder was?«
»Ja, haben wir. Die sind dreizehn da drin.«
Cheyenne läuft aus dem Haus und auf das Auto zu. »Mama! Papa!« Sie hat ihr T-Shirt wieder übergezogen. Ihr Gesicht ist geschwollen.
»O mein Gott, Kind. Wie siehst du denn aus?«
»Ihre Tochter hat heute Nachmittag zuerst zugeschlagen. Meine Tochter ist ein friedliches Mädchen, das sich nur verteidigt.«
Es rummst am Erkerfenster zur Straße. Die Köpfe der Erwachsenen drehen sich dorthin. Im vollen Schein der Wohnzimmerlampen sehen sie, wie Julian mit den Armen vor dem Gesicht zu Boden sinkt und versucht, die Bücher abzuwehren, die Kira nach ihm wirft. Sie wählt nur die schweren Exemplare. Weltatlas, Guinnessbuch, Planetenführer. Jetzt ist ihr Zorn alttestamentarisch. Der Bildband zur Weltmeisterschaft 1990 zischt knapp über Julians Kopf hinweg und zerschlägt die Erkerscheibe. Das Buch landet, von Splittern begleitet, vor den Füßen von Cheyennes Eltern.
Merke ➙ Mit dreizehn Jahren erlebt ein Junge das erste Mal den Zorn einer betrogenen Frau. Von diesem Tag an wird er nur noch kleinformatige Taschenbücher kaufen.
Ein Jeep der Bundeswehr fährt mit quietschenden Reifen vor. Es ist Dustins Vater, den sein Sohn telefonisch im Dienst erwischt hat. Der Mann trägt volle Uniform und hat ein kleines Maschinengewehr auf dem Rücken. Seine Stimme macht aus jedem Satz einen Befehl.
»Ich will meinen Sohn abholen. Sofort!«
»Sie kommen mit einem Gewehr in unser Viertel?«
»Mein Sohn hat mir gesimst, es sei Gefahr im Verzug!« Der Mann bemerkt das zerbrochene Fenster und den Bildband auf dem Pflaster.
»Dustin!!!«, brüllt er.
»Papa!«, ruft der kleine Giftzwerg, stolpert seinerseits aus dem Haus und hält sich seine blutende Nase. »Die Kira schlägt uns alle. Sie haut uns alle zu Klump.«
»Wie bitte?«, hebt der Oberfeldwebel seine Stimme und funkelt Holger und Sandra böse an.
Holger schnauft: »So, jetzt reicht’s mir aber hier! Meine Tochter ist in dieser Geschichte nicht die Böse!«
»Ach nein?«, fragt der Hybridvater und legt den Arm um seine Cheyenne.
»Kira!«, fleht Julian hinter der zerbrochenen Scheibe, »das war doch alles nicht so gemeint mit Cheyenne!« Er muss flehen, denn jetzt kommt Kira mit einem der Regalbretter auf ihn zu. Gnadenlos umfassen ihre jungen Hände das Holz und heben es über ihn. Julian kriecht, sich den Rücken anritzend, aus der kaputten Scheibe rückwärts nach draußen, empfängt dort aber augenblicklich einen Tritt von Cheyenne, die sich aus den Armen ihres Vaters gewunden hat: »Was soll das heißen, das war nicht so gemeint mit mir???«
Da liegt er nun, der Julian, halb im Haus und halb draußen, geschlagen an beiden Enden seines Körpers von zwei aufgebrachten jungen Frauen.
Kira zieht an Julians Füßen, und Cheyenne packt sich die Arme. Sie zerren an ihrem Schwarm und schubbern ihn dabei mit dem Rücken über den von Scherben bedeckten Boden. Julian schreit vor Schmerz.
»Aufhören!«, ruft Holger, aber es bewirkt gar nichts.
Dustins Vater, der darauf trainiert ist, Krisensituationen schnell aufzulösen, zieht sein Gewehr und schießt einmal laut in die Luft. Die Mädchen lassen Julian los, alle Kinder im Haus und die Erwachsenen draußen zucken zusammen.
Für eine Sekunde herrscht Stille.
Und in dieser einen Sekunde läuft vor Holgers innerem Auge ein Film ab. Wie er alles ordnet, die Kinder gehen, der Krankenwagen Julian holt und er seinen zweiten und dritten Job annimmt, um den Eltern des Jungen die Rückenoperation zahlen zu können. Wie Kira ihre Sachen packt und er sie mit Sandra in die Schweizer Berge fährt, um sie dort den Ordensschwestern der Klosterschule zu übergeben. Wie sie weinen, alle drei, aber auch wissen, dass es der einzige Weg ist. Wie die Glocken der Kühe klingeln, bevor die Glocken des Klosters zur Andacht läuten. All dies sieht Holger in dieser einen Sekunde, doch dann wird seine Fantasie von einem Knistern unterbrochen. Dustins Vater hat nicht in die Luft geschossen, sondern aus Versehen den Dachgiebel getroffen. Das Holz und die Akten, die Holger oben einlagert, beginnen augenblicklich zu brennen. Die Fenster bersten, und zwei Katzen springen kreischend über die Dachrinne in den Garten.
Kira steht hinter dem Fenster, das Regalbrett in der Hand, vor sich die Beine Julians, über sich ein brennendes
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