Überleben auf Partys: Expeditionen ins Feierland (German Edition)
hinter Büsche, die Katze springt kreischend aus dem Fliegengitter.
»Die Schweine!«, brüllt Marcel, und Dennis zündet hechelnd neue Munition an, den Blick so ernst und getrieben wie ein Soldat auf dem Battlefield in der rauchenden Wüste. Von gegenüber geht der Beschuss weiter. A-Kracher in der Luft wie feindliche Drohnen. Auf dem Pflaster rollen bösartig die dicken Dinger heran, zündelnd wie rote TNT-Stangen. Ulrike betrachtet das Geschehen mit den Freundinnen von drinnen aus dem Wohnzimmerfenster. Männer, die sich ducken. Männer, die durch das Dunkel huschen und in Deckung gehen. Männer, die sich auf dem Pflaster mit Judorollen hinwerfen und aus der Bewegung heraus Böller werfen. Am Ende der Straße brennt eine Mülltonne. Gegenüber brennt ein Rhododendron. Die Killers singen: »Are we human/ or are we dancers?« Ulrike denkt sich bitter: Männer sind nichts von beidem, nur eben: Killers.
Jana sagt: »Wir müssen doch was machen! Wir müssen sie aufhalten!«
Während sie zum Telefon greift, sagt Ulrike: »Heute morgen hätten wir sie aufhalten müssen, Jana! Verfickte Scheiße! Von wegen, an Silvester dürfen sie machen, was sie wollen! Da siehst du, wozu das führt!«
Am anderen Ende der Leitung geht jemand ran. Ulrike sagt: »Ja. Ein Krankenwagen zur Wesselbrede 22. Was passiert ist? Ich denke mal, Brandwunden. Vielleicht auch amputierte Finger.«
»Ulrike!«, empört sich Jana, weil sie es zynisch findet, dass ihre Freundin schon jetzt einen Notarzt bestellt, obwohl noch gar nichts ab ist.
»Ja, es geht um die Männer hier«, sagt Ulrike, »sie spielen Krieg, Böller … kommen Sie einfach!« Sie legt auf und dreht sich zu Jana: »Ich hätte ihm die Fliesen heute Morgen nicht durchgehen lassen dürfen. Damit fängt es nämlich an. Wenn die Duschwand nicht mehr abgezogen wird, steht die Barbarei schon vor der Haustür.«
Draußen flackern Lichter. Schreie des Zorns. Dann ein anderer Schrei. Ein Schrei des Schmerzes. Die Haustür springt auf und Dennis und Marcel führen Jonas hinein. Er blutet wie ein Schwein. Marcels Oberkörper ist nackt, bespritzt mit Jonas’ Blut. Sein T-Shirt hat er um Jonas’ Hand gewickelt.
Ulrike wird bleich.
»Ein Notarzt!«, schreit Marcel. »Ruf einen Notarzt! Der Volltrottel hier hat den Böller festgehalten und stattdessen das Feuerzeug weggeschmissen.«
»Im Eifer des Gefechts …«, jammert Jonas, die Augen tränennass.
Die Katze tobt aufgeregt schnüffelnd um die Tropfen frischen Bluts auf den Dielen, als würde der Duft sie rollig machen.
Was sagt die Wissenschaft? ➙ »Der Zivilisationsprozess des Mannes beschränkt sich darauf, dass er mittlerweile pro forma nach Gründen sucht, anstatt rund um die Uhr einfach so durchzukämpfen«, sagt Professor Dr. Dagmar de Bruyne vom Institut für desillusionierte Domestizierungsforschung (IfdD) in Drensteinfurt. »Dieser Grund kann je nach Situation profan oder weniger profan sein. Meistens reicht es schon, sich vage provoziert zu fühlen.« Damit die Hemmschwelle dessen, was man als Provokation wertet, sinkt, sponsert die Rüstungsindustrie die Bierbrauereien und Schnapsdestillerien weltweit seit Ende des Zweiten Weltkriegs mit enormen Geldern. »Mit kalter Muschi ist kein Krieg zu gewinnen«, lacht die Professorin, die übermütig werden kann, weil sie längst jede Hoffnung fahren ließ. »Der Dritte Weltkrieg hat trotz der Alkoholsubventionen nur deswegen noch nicht stattgefunden, weil die Männer einen Großteil ihrer Gewalttriebe beim Spielen mit Konsolen abführen.« Diese wiederum werden heimlich von internationalen Friedenskommissionen gesponsert, welche diese Logik der Kompensation begriffen haben. Andere Bereiche, die sie zum Zwecke des Männer befriedenden Ersatzkriegs fördern, sind der Fußball, die Filme von Bruce Willis und das Show-Wrestling.
Es ist sechs Uhr morgens, als die drei Frauen mit Marcel und Dennis vor dem Kaffeeautomaten im Foyer des Hospitals zusammenstehen. Jonas liegt schlafend auf der Station. Die verbrannte Hand ist verbunden, und der kleine Finger wurde erfolgreich wieder angenäht. Er hing nur noch an einem Muskelfaden. So konnte er wenigstens nicht verloren gehen und von den Nachbarn gestohlen werden.
Dennis und Marcel lassen betroffen die Köpfe hängen.
Ulrike pustet in ihren Kaffee.
Sechs Uhr, denkt sie. Die Neujahrsrunde würde eigentlich jetzt langsam zu Ende gehen, aus der kalten Muschi wäre eine erschöpfte heiße geworden, und sie würden schön nebeneinander
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