Überleben auf Partys: Expeditionen ins Feierland (German Edition)
bereits die Mauer des alten Schlosses, in dem die Vernissage stattfindet. Efeu rankt über die groben Quader. Karen weiß nicht, was heute auf sie zukommt. Informationen im Vorfeld waren seltsam rar gesät. Gerade das aber findet sie spannend. Vor dem Eingang stehen Menschen in Grüppchen und ziehen die Köpfe zwischen schwarze Mantelkragen. Karen gestikuliert mit den Händen vor den Boxen herum, in denen Mick Hucknall stoisch seine Soulschnulzen ausbreitet. »Man muss doch seinen Horizont erweitern.«
Britta erreicht die Mantelkragenmenschen und biegt schräg gegenüber auf einen Parkplatz unter Ulmen ein. »Nun denn«, sagt sie, »dann wollen wir mal sehen, wie unser Horizont heute erweitert wird.«
Merke ➙ Die sicherste Art, seinen Horizont zu erweitern, ist die Verwendung eines Teleskops.
Im Foyer mit den einfach verglasten Fenstern und dem knarrenden Dielenboden verwandeln sich die Mantelmenschen von draußen in Anzug- und Kostümmenschen, da sie ihre Mäntel an der Garderobe abgeben. Es werden Sekt und Orangensaft verteilt. An einem runden Stehtisch neben der Tür zum großen Saal, die noch verschlossen ist, wechselt eine sehr hagere Frau mit randloser Brille samt Kordel jede Sekunde das Standbein und schaut immer wieder auf die A4-Ausdrucke in ihrer Hand. Die Kuratorin. Die Gäste sind nicht so nervös. Gemütliche, grau melierte Männer begrüßen sich mit bauchigem Klang. Frauen, die viel wert auf die Strenge ihrer Frisuren gelegt haben, schmatzen vor jeder zweiten Silbe und geben gegenseitig mit den Leistungen ihrer Söhne an. Zwei Lokalredakteure mit Diktiergerät und Kamera auf der Brust lehnen mit ihren ausgeleierten Jeanshosen an der Fensterbank und tauschen sich über den letzten Spieltag der Landesliga aus.
»Und das sind jetzt also die mit dem Horizont, der den von uns Normalsterblichen bei Weitem übersteigt?«, flüstert Britta.
»Jetzt fang nicht an zu lästern, bevor die Tür auf ist.«
»Okay, und dann darf ich?«
Britta hält das Faltblatt der Ausstellung in der Hand, die gleich hinter der Tür zum großen Saal sichtbar wird. Die Ausstellung heißt Er weiß. Das steht auf dem Faltblatt. Sonst steht dort nichts, geschweige denn, dass etwas zu sehen wäre.
Britta kann sich nicht zurückhalten. Sie beugt sich wieder zu Karen.
»War viel Arbeit, das Blatt.«
Karen haut ihr mit dem Handrücken gegen den Arm.
Die Kuratorin räuspert sich. Mehrfach, damit sie auch gehört wird. Es klingt, als hätte ein Lurch Keuchhusten bekommen. Einer der grau melierten Männer unterstützt sie, indem er mit einem Kuli ein Sektglas zum Klingen bringt und sich neben sie stellt.
»Meine Damen und Herren, werte Gäste, werte Vertreterinnen … ach nein, es sind ja ausschließlich Herren der Schöpfung, also, werte Vertreter der Presse und …« – die Kuratorin nickt nach links, wo Britta und Karen erst jetzt eine Kamera auffällt – »des Fernsehens.« Sie räuspert sich wieder. »Mein Name ist Ingeborg Kleinschmiedebach-Wollershagen und ich bin die Vorsitzende des Kunst- und Kulturvereins Parallaxe, der für die kommenden vierzehn Tage die Räumlichkeiten dieses wunderbaren Schlosses zur Verfügung gestellt bekam, um Sie Zeugen eines außergewöhnlichen Projektes werden zu lassen.«
»Aha, ein Projekt «, flüstert Britta, »das war’s dann mit den schönen Bildern.«
Karen schaut sich schnell um, ob irgendjemand die banausenhaften Äußerungen ihrer Freundin mitbekommen hat. Anscheinend nicht. Die anwesenden Frauen prüfen während der Rede nach, bei welcher der anderen Damen der Hosenbund spannt, und die Männer gehen im Geiste Fußballaufstellungen durch.
»Doch bevor ich Ihnen berichte, was es mit diesem Projekt auf sich hat, möchte ich die Gelegenheit nutzen, um allen zu danken, die diese Ausstellung mit Tatkraft, Idealismus und nicht zuletzt mit Geld« – alle Anwesenden lachen verlegen, als hätte die Kuratorin nicht »Geld«, sondern »Penis« gesagt – »möglich gemacht haben. Da wäre zunächst mal der Vorsitzende der Schlossverwaltung, Herr Dr. Kurt Wielandt, den wir gleich auch noch hören werden.«
Die Menschen klatschen. Der grau melierte Herr neben der Kuratorin nickt gütig. »Ferner Herr Werner Feldhain von der Kulturstiftung der örtlichen Sparkassen …« Ein weiterer Graukopf tritt kurz vor und nickt. Die Menschen klatschen. »Frau Waltraud Ammann von der Buchhandlung Ammann, Ammann und Söhne …«
Britta weiß: Das kann jetzt dauern. Und nicht mal Weintrauben oder Käse
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