Überleben auf Partys: Expeditionen ins Feierland (German Edition)
drei neue Bierflaschen aus dem Kasten und sagt, die erste mit den Zähnen öffnend: »So. Jetzt ist hier Rambazamba angesagt.«
Dennis nimmt die Flasche entgegen und zeigt damit zur getäfelten Decke, über der sich das Wohnzimmer befindet: »Unser domestizierter Freund hat bis eben noch Notizen beim Bleigießen gemacht und dabei kalte Muschi geschlabbert.« So nennt man den Wein-Cola-Drink auch. Kalte Muschi. Marcel lacht. Dann schaut er gespielt ernst, steckt die zweite Flasche in seine Augenhöhle und knackt mit dem Schädelknochen den Kronkorken ab. Jonas zuckt jedes Mal zusammen, wenn Marcel das macht. Dieser drückt Jonas die Flasche in die Hand, hält sie noch einen Augenblick fest und schaut seinem Freund in die Augen: »Begrüße das neue Jahr als Mann.«
Jonas nickt.
Marcel sagt, Full Metal Jacket zitierend: »Das heißt: ›Sir, jawohl, Sir!‹«
Jonas schmunzelt und sagt: »Sir, jawohl, Sir!«
Marcel erhebt seine Stimme: »Was gibt es da zu schmunzeln???«
Jonas wiederholt: »Sir, jawohl, Sir!«
Im Hintergrund wartet das Battlefield auf die Rückkehr der Soldaten.
Dennis brüllt: »Lauter!«
Jonas wird lauter: »Sir, jawohl, SIR!!! «
»Lauter!«
» SIR, JAWOHL, SIR!!! «
Dennis sagt: »Warum nicht gleich so? Passen Sie bloß auf, sonst reiß ich Ihnen den Kopf ab und scheiß Ihnen in den Hals!«
Im Wohnzimmer, in welches das Gebrüll hinaufschallt, schaut Ulrike ihre Freundinnen an und sagt: »Seht ihr? Es geht schon los …«
Kurz vor Mitternacht sind alle im Wohnzimmer versammelt und warten auf den Countdown. Auf dem Fernsehschirm steht eine Moderatorin vor dem Brandenburger Tor in Berlin. Die Menge zählt: »Zehn, neun, acht …«
Ulrike, Alexandra, Jana, Jonas, Marcel und Dennis zählen ebenfalls: »… sieben, sechs, fünf, vier …«
Katze Lilli springt aus Übermut in den Tannenbaum und verschwindet raschelnd zwischen den Zweigen. Eine Weihnachtskugel aus Kunststoff fällt ab. Die Katze erscheint wieder aus dem grünen Dunkel und rockt die Kugel im Zickzacklauf wie einen Ball über die Dielen.
»Drei, zwei, eins … frohes neues Jahr!!!«
Die Paare küssen sich.
Alexandra steckt ihrem Marcel die Zunge in den Hals und verschlingt ihn so innig, als sei er drei Jahre mit seiner 50-Pfennig-Marke im Kriegseinsatz gewesen.
Jana und Dennis umarmen sich nach dem Kuss lange, und Dennis legt sein Kinn auf ihr Köpfchen.
Ulrike verteilt die Sektgläser, weil ja sonst keiner dran denkt, und schaltet 3sat ein, wo an diesem Tag rund um die Uhr Konzerte laufen. Das neue Jahr beginnt mit einer Show der Killers. Brandon Flowers begrüßt sein Publikum. Ulrike sieht ihrem Jonas tief in die Augen und stößt mit ihm so behutsam an, als hätten die beiden ein Geheimnis. Das haben sie auch. Ihr Geheimnis ist die Neujahrsrunde , mit der sie den neuen Anfang begrüßen. Sie haben Sex in jedem Raum des Hauses. Niemand sonst kann so was tun, nach vielen Stunden des Feierns, den Bauch rappelvoll mit in Fett schwimmenden Fonduefetzen. Ulrike und Jonas schon, denn sie bereiten sich vor. Niemand hat bemerkt, wie lange sie ihre Spieße in den brodelnden Töpfen stecken ließen, ohne mehr zu essen als ein wenig Brot und Gürkchen. Und die Männer im Keller waren viel zu sehr im Krieg verstrickt, um die Übersicht darüber zu bewahren, dass Jonas von den eineinhalb Kästen Bier nur drei Flaschen getrunken hat. Die Neujahrsrunde ist entscheidend für das Jahr. Sie grundiert die geschlechtliche Freude der nächsten 364 Tage, die am 6. Januar weitergeht, am Tage der Heiligen Drei Könige. Dann ist theoretisch Pause bis zum Rosenmontag, den sie als Feiertag gelten lassen, obwohl er gesetzlich gesehen keiner ist. Natürlich können Ulrike und Jonas auch an anderen Terminen Sex haben, aber die Feiertage sind gesetzt. Da geht es ab, überall, den ganzen Tag. Das Telefon ist aus, Sexspielzeug und Wäsche führen wie eine Brotkrumenspur durch das ganze Haus, und das Einzige, was sie zu sich nehmen, sind Körpersäfte. In leiser, lustvoller Verschwörung sehen sie sich an. Der goldene Sekt schwebt in den Gläsern wie ein kleiner Teich zwischen ihren Gesichtern, in dem sie gemeinsam Fische züchten.
Dennis klatscht in die Hände und schnappt sich die Kiste, die im Flur bereitsteht: »So, und jetzt raus, böllern!«
Die Männer stürmen nach draußen, in T-Shirts und Jeans, obwohl es eiskalt ist. Die Frauen ziehen sich in Ruhe ihre gefütterten Astronautenjacken an und setzen Ohrenschützer auf, die wie gestrickte
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