Überleben auf Partys: Expeditionen ins Feierland (German Edition)
einschlafen, bevor sie um 10:49 Uhr sagen würde: »Jonas, in elf Minuten macht der Bäcker zu!«
Jana schaut sie an und sagt leise: »Ulrike. Was machst du jetzt?«
Sie hat wohl Angst, dass Ulrike ihren Jonas fortan noch strengeren Maßnahmen unterwirft, da heute Nacht ja wieder bewiesen wurde, wie eng man Männer an der Leine führen muss, damit sie nicht auf der Stelle alles zerstören und sich gegenseitig mit chinesischer Knallware die Finger abschießen.
Ulrike nimmt einen Schluck.
Dann sagt sie, den Blick auf die Ausgangstür des Hospitals in die gedachte Richtung ihres Viertels gerichtet: »Das überlege ich mir noch. Aber eines ist klar … so leicht kommen mir die Nachbarn nicht davon. Die haben meinen Jonas fast den kleinen Finger gekostet.« Und uns den Neujahrssex, denkt sie, sagt es aber nicht. Ihre Ohren sind knallrot. Ihre Nüstern blähen sich auf.
Marcel und Dennis blicken auf. Erstaunt und froh, dass Ulrike endlich zur Vernunft kommt.
Ulrikes Augen verengen sich zu Schlitzen.
Dahinter funkelt, langsam auflodernd, das herrliche Antlitz des Krieges.
•Die Silvesterparty
Alkoholpegel: ★ ★ ★
Drama: ★ ★ ★ ★ ★
Erotik: ★
Spaß: ★ ★ ★
Was man erwartet
Sex. Nachdem man sich während der geselligen Feier unter Freunden mit fettigem Fleisch und sinnlosem Suff dezent zurückgehalten hat, leckt, knetet und fickt man sich durch jeden Raum des eigenen Hauses, was auch den wahren Grund dafür darstellt, Silvester immer wieder den Gastgeber zu mimen.
Was tatsächlich passiert
Krieg. Da man die Zügel zum Jahreswechsel lockergelassen hat, wird der Freund von den Männern dazu verführt, den orgiastischen Krieg der lustvollen Orgie vorzuziehen, und liegt während der Zeit, in der eigentlich der Neujahrssex stattfinden sollte, mit angenähtem kleinem Finger im Hospital.
Was man tun sollte
Darauf bestehen, dass der Mann auch am Tage des Jahreswechsels die Fliesen der Duschwand abzieht. Die konsequente Strenge mit dem verführerischen Blick der Lehrerin begleiten. Oder einfach in ein Viertel ziehen, in dem die Nachbarn für gegenseitigen Böllerbeschuss zu alt und zu träge geworden sind.
Typischer Song
»Human« von The Killers
Typisches Getränk
Kalte Muschi
Die Vernissage
Die Vernissage ist das Fest der großen Worte. Eine Feier der endlosen Danksagungen und der geladenen Gäste. Eine Vorstellung, die jeder anders deutet. Ungünstig ist nur, dass der Star nicht immer hält, was er verspricht …
In Brittas grünem Golf läuft Simply Red. »I wanna fall from the stars/ straight into your arms.« Karen sieht den rothaarigen Sänger mit den Sommersprossen vor sich. Sie findet ihn schleimig. Britta singt glücklich mit. Sie hätte studieren können, aber sie wurde Anstreicherin und ist damit »gut zufrieden«. Karen hat studiert und sorgt dafür, dass ihre alte Schulfreundin Britta hin und wieder eine Portion Kunst abkriegt. Also das, was für Karen Kunst ist. In Brittas Wohnung hängen die klassischen Posternachdrucke. Van Goghs Straßencafé. Dalís zerfließende Uhr. Chagalls blaue Stadt. Als Dekoration.
»Gibt’s da heute bei der Vernissage schöne Bilder zu sehen oder hat sich wieder jemand viele Gedanken gemacht?«, fragt Britta und unterbricht dafür ihr säuselndes Karaoke.
»Schöne Bilder«, regt sich Karen auf, »was ist denn das für ein Maßstab? Schön ist auch der Hirsch am Bach.«
»Ja. Wenn er gut gemalt ist.«
»Britta!«
»Kunst kommt von Können, Karen.«
»Nein, Britta, Kunst braucht ein Konzept!«
Britta schaut auf die herbstlaubrote Straße: »Mein Ex, der Maik, weißt du noch, der hat doch Geschichte studiert. Wenn ich mich beschwert habe, dass seine Socken überall rumlagen und die alten vertrockneten Nudeln in der Küche schon so scharfe Kanten hatten wie Rasierklingen, meinte er immer: ›Mit Ordnung und Disziplin kann man auch ein KZ leiten.‹ Das war sein Konzept. Die antifaschistische Hausvermüllung.«
Karen liebt Brittas Schlagfertigkeit. Sie hat einen wachen Geist, aber die Kunst, wie Karen sie meint, prallt an ihr ab. Was hat Karen nicht alles versucht. Free Jazz, documenta, Joseph Beuys, Happenings. Britta versteht, was das alles soll, aber sie bleibt dabei, es albern zu finden. Sie hört weiterhin lieber Simply Red statt Sonny Rollins und schaut seufzend auf Van Goghs Nachtcafé , während sie sich an ihrem Vollautomaten einen Cappuccino macht.
»Du unterforderst dich selbst«, sagt Karen. Britta blinkt. Da vorn beginnt
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