Überleben oder Scheitern: Die Kunst, in Krisen zu bestehen und daran zu wachsen (German Edition)
sei. Für die meisten sei diese Haltung gleichbedeutend mit Aufgeben oder kraftloser Resignation verbunden gewesen. Sie selbst habe das ganz anders empfunden. Ihre inneren positiven Bilder hätten ihr geholfen, sich in Gedanken in erster Linie auf »wieder gesund werden« zu konzentrieren, nicht auf das Niederringen der Krankheit.
In diesem Gespräch erzählte sie mir auch, dass sie als Kind die Brustkrebserkrankung ihrer Mutter miterlebt hatte. Diese war nach jahrelanger Behandlung gestorben, als die Tochter gerade 15 Jahre alt war. Aus der Beobachtung dieser Leidensgeschichte hatte sich bei ihr zunächst eine große Angst vor Spritzen und besonders Infusionen festgesetzt. Als junge Frau war sie überzeugt gewesen, allein wegen ihrer Panik vor Infusionen würde sie selbst eine schlimme Krankheit niemals überstehen. Die Überwindung dieser Furcht habe in ihr enorme Kräfte freigesetzt. Auf meine Frage, ob sie denn gar keine Angst vor dem Sterben habe, antwortete sie: »Ich habe keine Angst vor dem Tod. Ich liebe zwar das Leben und möchte – wenn es geht – so lange wie möglich leben und mit meinem Partner alt werden. Aber es macht doch keinen Sinn, Energie mit Angstgedanken vor dem Tod zu verschwenden. Der Tod kommt sowieso, egal ob ich ständig panisch daran denke oder nicht. Dann kann ich es letztlich auch sein lassen.« Sie sehe den Tod als etwas sehr Ruhiges und habe das Gefühl, dass auch danach »irgendwas da sein wird«.
Die Haltung dieser jungen Frau zeigt, dass man aus dem Vertrauen auf gute und heilsame Kräfte enorme Energie ziehen kann. Natürlich lässt sich damit eine schwere Krankheit nicht per se überwinden. Sie ist kein Wundermittel gegen einen möglicherweise tödlichen Verlauf. Aber festzuhalten bleibt, dass wir solche Krankheitsphasen in unserem Leben besser durchstehen, wenn wir versuchen, positiv zu bleiben und trotz des Leids unsere Lebensfreude nicht verlieren. So können wir nicht nur besser durch die schwere Zeit kommen, die Krankheit vielleicht sogar überwinden, sondern auch leichter Abschied nehmen, wenn die Zeit dafür gekommen ist. Weil wir dann wissen, dass wir noch so oft wie möglich schöne Momente und Erlebnisse gehabt haben.
Wenn der Glaube Berge versetzt
Als die wochenlang verschütteten chilenischen Bergarbeiter kurz vor Weihnachten 2010 gerettet wurden, berichteten viele von ihnen spontan, ihr fester Glaube daran, dass Gott sie retten werde, habe dazu beigetragen, Entbehrungen, Ungewissheit und Angst zu ertragen. Menschen, die in verzweifelten Situationen auf eine höhere Macht vertrauen, die sie schützen und leiten wird, empfinden tatsächlich weniger Stress und können leichter loslassen als diejenigen, die glauben, dass nur der Einsatz der eigenen und oftmals als sehr begrenzt empfundenen Kräfte darüber entscheidet, ob sie überleben oder scheitern. Das »Abgeben« der Verantwortung an Gott oder eine andere höhere Macht bietet Entlastung, vor allem wenn man selbst nichts mehr tun kann – alles Weitere liegt nun sozusagen in »Gottes Hand«. Während Menschen, die keinen Glauben haben, in solchen Situationen kämpfen, sich mit Vorwürfen martern und psychisch unter Stress setzen, können Gläubige im Vertrauen auf die Fürsorge einer höheren Macht Kräfte sammeln, die sie Anstrengungen und Entbehrungen leichter bewältigen lassen.
Interessanterweise habe ich in den langen Jahren meiner praktischen Tätigkeit selten Menschen getroffen, bei denen in einer traumatischen Situation die Auseinandersetzung mit Gott oder einer übergeordneten Macht überhaupt keine Rolle gespielt hätte. Manche sagten von sich, an einen Gott, der so etwas Schlimmes zulasse, könnten sie nicht mehr glauben. Wie Altkanzler Helmut Schmidt etwa, der einmal äußerte, Auschwitz habe seinen Glauben nachhaltig erschüttert. Andere wiederum fühlten sich von Gott im Stich gelassen. Glaubenssätze wie »Gott ist an meiner Seite, was sich daran zeigt, dass es mir gut geht, dass keine Krankheit und kein Unheil mich heimsucht« geraten in Extremsituationen ins Wanken. »Gott hat mich verlassen, sonst wäre ich nicht in diese Lage geraten.« Wieder andere erklärten, dass sie ohne ihren festen Glauben niemals überlebt hätten, dass sie verzweifelt wären, sich aufgegeben oder gar umgebracht hätten. Und es gibt auch zahlreiche Menschen, die ihren Glauben, der lange Zeit keine Rolle in ihrem Leben gespielt hatte, in oder nach einer traumatischen Situation wiedergefunden haben.
Glaube – oder
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