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Überleben oder Scheitern: Die Kunst, in Krisen zu bestehen und daran zu wachsen (German Edition)

Überleben oder Scheitern: Die Kunst, in Krisen zu bestehen und daran zu wachsen (German Edition)

Titel: Überleben oder Scheitern: Die Kunst, in Krisen zu bestehen und daran zu wachsen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Pieper
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der Lage, die göttlichen Heilungskräfte zu erspüren, in sich aufzunehmen und an kranke oder hilfsbedürftige Menschen weiterzugeben.
    Diese geistig-meditative Übung des »sich leer Machens« ist für mich seitdem zu einem Vorbereitungsritual geworden. Bevor ich mit schwer traumatisierten Menschen zusammentreffe, mache ich mir zunächst klar, dass nicht ich als Person der »Heiler« bin, sondern »die guten Mächte oder Kräfte«, die durch mich wirken. Ich bedanke mich dafür, dass diese Kräfte existieren, und bitte darum, sie auch heute wahrnehmen und spüren zu dürfen. Ich imaginiere, wie ich diese Kräfte in mich aufnehme, um sie dann während der Sitzung an die Betroffenen weiterzugeben. Anders als Fools Crow jedoch stelle ich mir vor, wie ich diese positiven Kräfte um mein fachliches Wissen und meine persönlichen Eigenschaften ergänze. Ich möchte sozusagen nicht nur ein »hohler Knochen« sein, durch den die heilsamen Kräfte hindurchfließen, sondern sie mit meinen individuellen Fähigkeiten und Kenntnissen verbinden. Auf diese Weise fühle ich mich tatsächlich deutlich entlastet. Denn ich spüre nicht mehr den Druck, das Leiden eines verzweifelten Menschen allein mit meinen begrenzten Fähigkeiten, meinem begrenzten Wissen und meiner endlichen Energie lindern zu müssen.
    Dass dieses »Anrufen« und Vertrauen auf »höhere Mächte« auch anderen Menschen hilft, habe ich selbst mit einem meiner Patienten erlebt. Der Mann, der in einen schlimmen Autounfall verwickelt gewesen war, hatte sich telefonisch zu einer Sitzung bei mir angemeldet. Ich wusste, dass eine schwere Situation auf mich zukommen würde. Mein Patient war auf einer Autobahn unterwegs gewesen, als ein »Geisterfahrer« in das vor ihm fahrende Auto krachte. Bei der Kollision wurde ein Kind, das nicht angeschnallt gewesen war, aus dem Kleinwagen der Geisterfahrerin auf die Fahrbahn geschleudert. Da alles in Sekundenbruchteilen geschah, war es für meinen Patienten unmöglich, zu bremsen oder auszuweichen. Er überrollte das Kind. Die Falschfahrerin, ihr Kind und der Fahrer des vorausfahrenden Wagens kamen bei dem tragischen Unfall ums Leben. Ob das Kind durch den Aufprall, das Herausschleudern auf die Straße oder durch das anschließende Überrollen getötet worden war, konnte nicht geklärt werden.
    Mein Patient litt fürchterlich unter den immer wiederkehrenden Bildern und Geräuschen; er hatte starke Schuldgefühle, fühlte sich für den Tod des Kindes verantwortlich, konnte nicht mehr schlafen, war depressiv, extrem angespannt und insgesamt in einem miserablen Zustand. Ich konnte seinen Leidensdruck gut nachvollziehen, seine Aussage, er habe beim Überrollen des Körpers die Knochen knacken gehört, und seine Tränen darüber berührten mich tief.
    In den folgenden Sitzungen fasste er Vertrauen, und wir arbeiteten sehr gut zusammen. Er konnte mit der Zeit seine Emotionen Stück für Stück ordnen und wurde schließlich auch durch die polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Untersuchungen von jeder Schuld freigesprochen. Sein Zustand besserte sich zusehends, wenngleich dieses schlimme Ereignis eine tiefe Narbe in seiner Psyche hinterließ.
    Im Verlauf der Therapie erzählte er mir, dass er große Angst gehabt habe, zu einem Psychologen zu gehen, und lange gezweifelt habe, ob dies der richtige Weg für ihn sei. Obwohl nicht besonders gläubig, habe er eines Tages gebetet, er möge auf einen Menschen treffen, der ihn verstehe und zu dem er Vertrauen fassen könne. Das sei »Gott sei Dank« gelungen.
    Das für mich Faszinierende in dieser Situation war, dass ich mich genau wie er vor unserem ersten Zusammentreffen an eine höhere Instanz gewandt hatte – in Form meiner indianischen Meditationsübung. Wir hatten beide darum gebeten, dass in unserer Begegnung heilsame Kräfte wirken mögen. Sie waren tatsächlich wirksam geworden und haben dazu beigetragen, dass sich der Patient schrittweise von seinem Leiden befreien konnte. Ich profitierte ebenso von diesem Erlebnis, weil es meine Annahme zur Gewissheit festigte, dass es letztlich diese heilsamen Kräfte sind, die schwerstes Leid besiegen können.
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