Überleben oder Scheitern: Die Kunst, in Krisen zu bestehen und daran zu wachsen (German Edition)
wenigen Jahrzehnten. Gleichzeitig suchen viele Menschen nach Sinn und spiritueller Erfüllung – eine Lücke, die von ganz unterschiedlichen Strömungen bedient und gefüllt wird. Was einem hilft, mag jeder für sich selbst entscheiden. Und auch ob er sich überhaupt auf eine solche spirituelle Ebene einlassen will. Wer dies nicht tun will, kann diesen kleinen Exkurs gerne überblättern, was ich allerdings bedauern würde. Denn ich habe in meiner Arbeit mit traumatisierten Menschen die Erfahrung gemacht, dass gerade in einer Zeit der Krise das Vertrauen auf eine wie auch immer gedachte »höhere Macht« selbst für diejenigen an Bedeutung gewinnt, die sich bis dahin kaum Gedanken darüber gemacht haben. Auch aus Gesprächen mit Betroffenen aus völlig unterschiedlichen Kulturkreisen weiß ich, dass der Glaube an eine höhere Macht bei der Bewältigung traumatischer Ereignisse, schwerer Lebenskrisen und der Konfrontation mit dem eigenen Tod oder dem eines lieben Angehörigen eine große Rolle spielt. Aus psychologischer Sicht ist das tatsächlich eine große Stütze. Woraus Menschen allerdings diese Bestärkung ziehen, ist völlig unterschiedlich. Daher habe ich mir schon oft die Frage gestellt, ob wir von anderen Religionen etwas lernen können, das uns bei der Bewältigung einer Krise helfen kann.
Ohne dass ich dabei eine Bewertung vornehmen möchte, will ich im Folgenden einen etwas genaueren Blick auf das Christentum und den Buddhismus werfen – und zwar unter dem Aspekt, welche Haltungen unsere Sicht auf die Dinge erleichtern können.
Wenn man fernöstliche Länder bereist, fällt auf, dass der Alltag – und damit auch die Denk- und Lebensweise – durch den Buddhismus viel stärker geprägt ist, als das heute in Europa durch das Christentum der Fall ist. Allein schon durch die grundlegende Erkenntnis Buddhas, dass das Leben Leiden ist, scheinen die Menschen dort viel besser auf einschneidende oder katastrophale Ereignisse vorbereitet zu sein. Bei uns hingegen werden durch unvorhergesehenes Unheil Grundannahmen erschüttert, es passt nicht in unser Bild von der heilen Welt. Deswegen ist der innere Aufschrei, das Gefühl, durch ein traumatisches Ereignis ungerecht behandelt zu werden, deutlich ausgeprägter. Da im fernöstlichen Raum diese westlichen Grundannahmen im Allgemeinen nicht geteilt werden, geraten sie somit auch nicht ins Wanken. Dazu später mehr.
Im »Garten der Religionen« in Köln, einem ehemaligen Klostergarten der Jesuiten, in dem seit 2011 der Dialog zwischen Menschen der fünf Weltreligionen gepflegt und gefördert werden soll, wurde für jede der großen Religionen ein charakteristischer Begriff gefunden: Für das Christentum »Beziehung«, für den Buddhismus »Gelassenheit«, für das Judentum »Treue«, für den Islam »Ehrfurcht« und für den Hinduismus »Vielfalt«.
Im Christentum ist Gott die Einheit aus Vater, Sohn und Heiligem Geist. Schon von diesem Verständnis her ist Gott Beziehung, er steht für Dialog. Jeder Mensch wird als Ebenbild Gottes gesehen und ist somit ein »Beziehungswesen«. Auf unser Thema übertragen heißt das: In den Beziehungen der Menschen untereinander sind auch Kräfte angelegt, die aktiviert werden können, wenn wir uns gegenseitig in schweren Lebenssituationen helfen. In der Bibel gibt es dafür ein schönes Beispiel (Markus 2, 1-12): Ein Gelähmter wurde von vier Trägern zu Jesus nach Kapernaum getragen, wo viele Menschen seinen Reden zuhörten. Die vier glaubten fest daran, dass Jesus ihren Freund heilen könne. Da sie aber aufgrund des dichten Gedränges mit ihrer Trage nicht bis zu Jesus vordringen konnten, kletterten sie auf das Dach eines Hauses und ließen den Gelähmten auf der Trage an Seilen herunter, genau vor die Füße von Jesus. Als Jesus bemerkte, welche Mühen die vier auf sich genommen hatten, sprach er zu dem Gelähmten: »Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben. Ich sage dir, steh auf, nimm dein Bett und geh heim!« Der Gelähmte stand auf, nahm sein Bett und schritt vor aller Augen von dannen.
In diesem Beispiel wird deutlich, dass der feste Glaube daran, Hilfe zu bekommen, entscheidend ist. Es kommt hier nicht einmal auf den Glauben des Kranken selbst an, sondern auf den seiner Helfer. Und noch etwas zeigt diese Bibelstelle: Die Beziehung zu Freunden, das Vertrauen auf deren Fürsorge und Hilfe ist wichtig, um eine Krise oder eine Krankheit zu bewältigen. Wir sollen vertrauen auf andere, die uns stützen und uns auf unserem
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