Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Überlebensübungen - Erzählung

Überlebensübungen - Erzählung

Titel: Überlebensübungen - Erzählung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
Vom Netzwerk:
mussten geschlagen werden, Sie haben sie zu Recht geschlagen«, versicherte er. Wir waren an der Haltestelle Odéon-Saint-Germain angekommen, dort stieg ich aus. Und wir haben uns ver
abschiedet: »Salut!« haben wir uns beide zugerufen, und dann stand ich auf dem Trottoir, der Bus fuhr weiter, und einige Minuten lang, als ich, regungslos, den Bus weiterfahren sah und mit ihm den langen Kerl aus Martinique, den ich wahrscheinlich nie wiedersehen würde, einige Minuten lang bin ich nicht mehr der Überlebende der vergessenen und verlorenen alten Schlachten des Kommunismus gewesen, ein alter Mann, der nun keinen anderen Daseinsgrund mehr hat außer dem Leben selbst – und dem jugendlichen Lächeln einiger Lebender –, schienen mir dank diesem langen Kerl aus Martinique die verlorenen Schlachten vielleicht nicht ganz sinnlos gewesen zu sein.
    Dennoch will ich mich nicht bei der Geschichte dieser verlorenen Schlacht innerhalb der Führung der PCE aufhalten. Im Übrigen habe ich sie, zumindest in großen Zügen, bereits erzählt.
    Vielmehr will ich den Faden meines Berichts wieder aufnehmen.
    Während ich also auf das Ende des Ausschlussverfahrens wartete, hatte mich Santiago Carrillo von der Arbeit in Spanien abgezogen – vom Kontakt mit den Aktivisten und den inneren Kadern, auf die ich einen bestimmten, ihm zufolge unheilvollen Einfluss haben könnte – und mich durch einen Führer der PCE ersetzen lassen, der seit dem Ende des spanischen Bürgerkriegs in Moskau lebte, demnach wenig vorbereitet war auf die Anforderungen einer Madrider Illegalität, einer Welt und einer Lebensweise, die ihm völlig unbekannt waren.
    Aber Carrillo hat die Treue der Aktivisten immer höher
geschätzt als deren Sicherheit. Tatsächlich hielt sich der arme Genosse nicht lange auf seinem Posten: er wurde einige Monate nach seiner Ankunft in Madrid verhaftet, wo ich zehn Jahre lang durchgehalten habe.
    Und meine letzte Reise diente genau dem Zweck, diesen Ersatzmann einigen Verantwortlichen vorzustellen, die er unbedingt persönlich kennen musste, um seine neuen Aufgaben erfüllen zu können.
    Für diesen letzten, kurzen Aufenthalt verfügte ich nicht mehr über die Wohnung, die die Partei mir vor ein paar Jahren überlassen hatte. Diese Dienstwohnung, wenn man so sagen darf, war Julián Grimau zugeteilt worden, der im illegalen inneren Kreis des Zentralkomitees in Madrid bereits unter meiner Verantwortung einen Platz eingenommen hatte, bis Santiago Carrillo mich nach unseren wachsenden Meinungsverschiedenheiten entfernt hatte.
    Als Grimau im November 1962, wenige Wochen vor meiner letzten Reise, verhaftet wurde, benutzte er nicht mehr meine Wohnung in der Calle Concepción Bahamonde. Diese war verkauft worden, und man hatte eine andere in der Nähe erworben, in der Calle Pedro Heredia. Doch die franquistische Polizei hatte, ich habe nie begriffen, auf welche Weise, nach Grimaus Verhaftung diese Wohnung entdeckt: ein wirklich ungewöhnliches Ereignis. Das aktivistische Ehepaar María und Manolo Azaustre, die sich bereits um meine Wohnung kümmerten und bei Grimau weitermachten, wurde bei dieser Gelegenheit festgenommen und verbrachte lange Jahre im Gefängnis.
    Da ich über keine Wohnung mehr verfügte, musste ich mir für diesen letzten Aufenthalt selbst eine Unterkunft suchen. So war ich wieder in derselben Lage wie bei meiner ersten Reise, im Juni 1953, einer Lage, mit der ich ganz allein zurechtkommen musste, da sich der Apparat der PCE darauf beschränkte, einen Pass zu fälschen – im Übrigen tadellos –, der von einem sehr teuren Freund geliefert wurde, Jacques Gradov. Vermutlich wollten die Verantwortlichen des Apparats, bevor sie mir die Dokumente für eine dauerhafte Illegalität lieferten, meine persönlichen Fähigkeiten und meine Entschlossenheit testen.
    Jedenfalls wandte ich mich 1962 an Ángel González, da ich seine Diskretion und Genauigkeit kannte. Zudem verfügte González über eine recht geräumige, gut gelegene Wohnung, in der er allein lebte.
     
    Und in dieser stehe ich jetzt, an einem der Wohnzimmerfenster. Zerstreut betrachte ich das Reiterstandbild von General Franco, auf der anderen Seite der Plaza de San Juan de la Cruz, das sich von der modernen und trübseligen Fassade der Neuen Ministerien abhebt.
    Hinter mir höre ich die Wohnungstür, die mit Schwung geöffnet und geschlossen wird, das Geräusch eiliger Schritte im Flur.
    Ich drehe mich um, Ángel kommt herein, außer Atem.
    »Du musst sofort

Weitere Kostenlose Bücher