Überlebensübungen - Erzählung
weg!«, schreit er. »Aber sofort! Die Polizei ist dir auf den Fersen!«
Ich hatte Ángel im Kreis der kommunistischen Schriftsteller von Madrid kennengelernt, einer Gruppe von Ro
manciers und Dichtern. In den Kreisen spanischer kommunistischer Schriftsteller hat es immer Dichter gegeben. Dichter und Romanciers, oft talentierte. Zum Beispiel gehörte auch Juan García Hortelano zum Madrider Kreis.
Ich bitte Ángel um eine Erklärung.
Fieberhaft und ein wenig zusammenhanglos verkündet er mir: aus guter Quelle hat er erfahren, dass die Polizei weiß, wo ich zu finden bin, und dass sie kurz davor ist, mich zu verhaften.
Es ist klar, und es steht für mich außer Zweifel, dass Ángels Fieberhaftigkeit nicht von der Angst um sein persönliches Schicksal herrührt. Einer egoistischen Angst. Für sich selbst fürchtet er nichts, er denkt nicht an die Risiken, die er eingegangen ist, indem er mich beherbergte. Um mein Schicksal ist er besorgt, die mir anscheinend drohende Gefahr macht ihn so nervös.
Ich bitte ihn, noch mal von vorn anzufangen, mir alles genau zu erklären, in logischer Reihenfolge, von Anfang an.
Ángel González war nicht nur Dichter, meiner Meinung nach einer der besten seiner Generation – überbrächte er nicht eine so dringende und gefährliche Nachricht und hätten wir mehr Zeit für Abschweifungen und Umwege, die Freuden eines jeden dieses Namens würdigen Erzählers, so könnte ich hier einige seiner Gedichte übersetzen und kommentieren –, aber damit hätte er nicht sein Brot verdienen können. Vor allem war er Beamter im Verkehrsministerium, was ihm ein wenn nicht anständiges, so doch regelmäßiges Einkommen sicherte. Außerdem
war es praktisch: er brauchte nur die Plaza San Juan de la Cruz zu überqueren, vorbei am Reiterstandbild von General Franco, und schon war er in seinem Büro.
Unter den Redakteuren des Ministeriums, die sich jeden Tag zur Stunde des Aperitifs oder des Kaffees versammelten, manchmal auch zur einen wie zur anderen, denn in den franquistischen Ministerien waren die Leistungsnormen nicht anstrengend – da der Staat genau wusste, dass ihre Löhne unzureichend waren, erlaubte er die Häufung öffentlicher Arbeitsplätze und verschloss auch die Augen vor dem Eindringen der Privatwirtschaft; in der unteren Mittelschicht jener Zeit lebte keiner von nur einem einzigen Gehalt –, unter den Redakteuren also, die regelmäßig den » tertulia « genannten Freundeskreis aufsuchten, gab es nicht nur Romanciers und Dichter, sondern auch einen jungen Polizisten. Mit entwaffnender Treuherzigkeit erzählte dieser seinen Kollegen zur Stunde des Aperitifs oder des Kaffees, oder auch zur einen wie zur anderen, je nach der Wichtigkeit der Sache, die er verfolgen sollte, von den Untersuchungen oder Ermittlungen, an denen er beteiligt war. So hatte er ihnen vor einiger Zeit verkündet, dass man ihn in die soziale Ermittlungsbrigade versetzt habe, wie die offizielle Bezeichnung der politischen Polizei lautete. Er war der Abteilung zugeteilt worden, die sich um die seit 1956 ständig aufrührerischen und opponierenden universitären Kreise kümmerte.
»Doch heute, vor kaum einer Stunde«, sagt Ángel, »kommt dieser Typ ganz aufgeregt ins Café, wo wir uns zum Aperitif versammelt hatten, und verkündet mit lei
ser Stimme, dass sie Federico Sanchez auf den Fersen sind.« »Den ›Tertulianern‹, denen dieser Name nichts sagte«, fährt Ángel fort, »erklärt er, wer Federico Sanchez ist, einer der wichtigsten Leiter der PCE in Spanien, den die Polizei unermüdlich und intensiv, aber vergeblich sucht, seit der Universitätsrevolte 1956, es ist eine Ewigkeit her! ›Und jetzt haben wir ihn!‹ hat der Polizist ausgerufen«, sagt mir Ángel. »›Wir wissen, dass er gerade in Madrid angekommen ist, wir wissen, wo er diesmal wohnt, wir sind kurz davor, ihn zu verhaften! Du musst sofort verschwinden‹, schließt er. Ich habe erklärt, ich müsse mit meiner Mutter essen, und bin abgehauen, um dich zu warnen. Zum Glück wohne ich so nah!«
Ich bemühe mich, ihn zu beruhigen. Ich weise ihn auf einige Unwahrscheinlichkeiten dieses Berichts hin.
»Es ist möglich«, sage ich ihm, »dass die soziale Brigade von meiner Ankunft in Madrid Wind bekommen hat. Innerhalb weniger Tage habe ich viele Leute gesehen, in ganz verschiedenen Milieus. Irgendein Aktivist kann geschwätzig gewesen sein, vielleicht hat er sich damit gebrüstet, dass er mir begegnet sei. Aber niemand weiß, dass ich bei
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