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Überlebensübungen - Erzählung

Überlebensübungen - Erzählung

Titel: Überlebensübungen - Erzählung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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dir bin, Ángel! Nicht einmal die Leute aus dem Zentralkomitee, die in Madrid sind … Hast du etwas davon erwähnt? Gegenüber einer Frau, einem engen Freund?«
    Er verneint es kategorisch.
    »Ich habe nicht mal mit mir selber darüber gesprochen«, versichert er.
    Unverkennbar sagt er die Wahrheit.
    »Andererseits«, sage ich, »wenn sie wissen, wo ich bin –
wenn sie also wissen, dass ich bei dir wohne –, glaubst du, dieser Typ würde es in deiner Gegenwart sagen? Damit würde er die Verhaftung vereiteln …«
    »Vielleicht will er das ja«, sagt Ángel, »vielleicht ist er ein anständiger Typ, der versucht, eine Botschaft zu übermitteln!«
    Ich schüttele den Kopf.
    »Anständige Typen gibt es in allen Verwaltungen, allen staatlichen Einrichtungen, sogar auf ziemlich hohen Ebenen … Aber ich kann dir garantieren, dass es bei der politischen Polizei noch keinen Einzigen gibt!«
    »Was machen wir also?«
    »Nichts«, sage ich. »Morgen fahre ich weg. Um elf Uhr morgens wird ganz in der Nähe ein Wagen stehen. Ich muss niemanden mehr treffen. Ich wollte heute Mittag ein letztes Mal in den Prado gehen. Aber ich rühre mich nicht vom Fleck.«
    Ich sehe ihn an.
    »Es sei denn, es ist dir lieber, wenn ich gehe«, sage ich. »Ich kann meinen französischen Pass benutzen und die Nacht im Hotel verbringen. Im Ritz, zum Beispiel. Ich wollte schon lange einmal im Ritz schlafen!«
    »Nein«, sagt er. »Bleiben wir hier, ganz ruhig. Wir können uns Sandwiches machen, es ist alles da. Und dann erklärst du mir in aller Ruhe, was in der Partei los ist, worüber diskutiert wird, warum man dich auswechselt …«
    Ich unterbreche ihn.
    »Das ist eine lange Geschichte«, sage ich.
    »Umso besser«, sagt er, »ich liebe lange Geschichten!«
     
    Fünfundzwanzig Jahre später nahm ich in Madrid an einem diplomatischen Empfang teil, ich weiß nicht mehr in welcher Botschaft. Damals gehörte ich der Regierung von Felipe González an, als Kultusminister. Ein etwa vierzigjähriger Mann kam auf mich zu. Ich hatte diesen Unbekannten bereits bemerkt, der sichtlich auf eine Gelegenheit lauerte, mich anzusprechen. Sicher wartete er, bis weniger Leute um mich herum wären.
    Ich hatte diese Gewohnheit aus der Illegalität beibehalten: immer meine Umgebung zu beobachten; immer ein Auge auf meine Nachbarn, ihre Bewegungen, ihre Körperhaltung zu haben. So viele Jahre später, sogar in einer Botschaft, sogar von einer Leibgarde geschützt, sogar lange nach dem Tod von Franco – dessen Reiterstandbilder hier und da noch zu sehen waren! –, hatte ich diese Gewohnheit beibehalten, eine Art bedingten Reflex, obwohl die Bedingungen, die ihn ausgelöst hatten, verschwunden waren.
    Dieser Mann von ungefähr vierzig Jahren trug einen kleinen Schnurrbart, dem der Maler Eduardo Arroyo mit einer Reihe von Porträts zur Unsterblichkeit verholfen hat: den Schnurrbart des spanischen Macho, des Machtmenschen oder erfolgreichen Verführers.
    Offensichtlich wartete er auf eine günstige Gelegenheit, sich mir zu nähern. Jetzt bin ich einen Moment lang allein. Und schon kommt er mit großen Schritten auf mich zu.
    »Herr Minister«, sagt er, »ich bin Herr Soundso, Polizeiinspektor!«
    Es war eine der von mir erwogenen Möglichkeiten, dass es sich um einen Polizisten handelte.
    Ich sage nichts, gebe ihm nicht die Hand, ich warte auf die Fortsetzung, sie kommt.
    »Meine erste Arbeit als Inspektor bestand darin, Ihnen zu folgen!«
    Ich wundere mich, bitte um Präzisierung.
    Damals hatte er gerade seine Aufnahmeprüfungen bestanden. Er war zur Polizei zugelassen worden. Man hat ihn einbestellt und ihm seinen ersten Auftrag erteilt: mir zu folgen.
    »In welchem Jahr?«, frage ich so schroff wie möglich.
    Er nennt mir ein Datum Anfang der siebziger Jahre.
    Ich lache ihm ins Gesicht.
    »1972«, sagte ich, »war das in keiner Weise Ihr Verdienst und von keinerlei Interesse … Ich hatte einen echten Pass, ich reiste legal … Vor dieser Zeit hätte man mir folgen müssen …«
    Das bestreitet er nicht. Dennoch erklärt er mir seine kleine Geschichte, der es nicht an einem gewissen Reiz fehlt.
    Er war also in die Generaldirektion der Sicherheitspolizei einbestellt worden. Man hatte ihm meinen richtigen Namen genannt, hatte ihm gesagt, dass ich Federico Sanchez gewesen sei, verkündet, dass ich am nächsten Tag aus Paris hier ankommen werde, mit einer Maschine der Air France, unter folgender Nummer, um folgende Uhrzeit. Dass er mich überwachen, mich

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