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Überm Rauschen: Roman (German Edition)

Überm Rauschen: Roman (German Edition)

Titel: Überm Rauschen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Scheuer
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gehabt hätte.
    «Ich will euch gar nicht sagen, was man sich noch alles über die erzählt», empörte sie sich.
    «An Hermanns Stelle hätte ich die längst aus dem Haus geworfen», regte sich auch die Jüngere auf. Eigentlich hatten die Schwestern immer schon gegen Alma gewettert, besonders die Jüngere, die am längsten zu Hause gewohnt hatte und noch da war, als wir anderen das Elternhaus schon verlassen hatten.
    Claudia erzählte, was sich zuletzt an den Karnevalstagen zugetragen hatte: «Für den Umzug hatten die ein Schiff gebaut, auf dem saß Hermann als große Pappfigur, eine Angel in der Hand und am Haken die Holländerin als barbusige Nixe.» Sie erzählte, dass Hermann auch beim letzten Schützenfest von Salm und Knuppeglas im Leiterwagen sitzend und völlig betrunken mit einer Pappkrone auf dem Kopf durch den Ort gezogen worden war. Er sei außerdem noch vor Kurzem, nach einer durchzechten Nacht in der Campingschenke, durch die Straßen getorkelt, habe immerzu ‹Glückseligkeit … unsere Glückseligkeit› gegrölt, Verse aus einem Kirchenlied, schließlich habe er sich mitten auf die Fahrbahn gelegt, die Arme ausgebreitet und zu weinen begonnen. Er sei nicht mehr dazu zu bewegen gewesen aufzustehen. Claudia wurde laut: «Es musste ja irgendwann so kommen, man muss sich ja schämen, solch einen Bruder zu haben.» Sie verstummte, als ein Brückenarbeiter hereinkam. Der Arbeiter ging zur Kühltheke, holte ein Mineralwasser heraus, trank es in einem Zug aus und ging dann zum Frühstück runter in die Gaststätte.
    Die jüngere Schwester blickte aus dem Fenster, auf den heruntergekommenen Hof von Reese am anderen Ufer. Ein schmaler Pfad führte am Bruchsteingemäuer des Stalls vorbei. In der Uferböschung wuchsen niedrige Sträucher, Weiden, Spring- und Pfeilkraut und Binsen, ein Reiher stakte vorsichtig, ein Bein vor das andere setzend, durch das seichte Uferwasser, blieb dann reglos stehen und starrte auf eine Stelle im Wasser. Jemand im Flur trat auf eine knarrende Diele, ich erinnerte mich, wie Mutter immer spätabends mit der Kasse, in der sich die spärlichen Tageseinnahmen befanden, müde die Treppe hochstieg, die Teppichstangen quietschten, fremde Stimmen aus den Gästezimmern, Liebhaber, die Mutter nach oben begleiteten, erinnerte mich an Angler, die Aale gefangen hatten und in einem Eimer in den Saal stellten und dass dann die Aale am nächsten Morgen spurlos verschwunden waren. Wir mussten den Eimer mit den Aalen suchen, weil sie für die Angelgäste zubereitet werden sollten. Das Wasser in der Küche kochte schon, Aale wurden lebend in den Topf geworfen, damit ihre Haut sich besser abziehen ließ, zudem schmeckte ihr Fleisch dann besser. Wir suchten im Tanzsaal, das Parkett roch nach Bohnerwachs, wir krochen unter die Tische, sahen hinter die Heizungskörper, unter die Bühne, wo sich früher tingelnde Schauspieler maskierten, wo alles voller Gerümpel stand und die Wände mit staubigem bunten Krepppapier verkleidet waren. Die Aale waren einfach weg, wie vom Erdboden verschwunden. Hermann erzählte uns, dass sich Aale nachts über die Wiesen schlängeln, Milch aus Zitzen schlafender Kühe saugen und den Geruch ihres Heimatflusses an ihre Nachkommen irgendwo in den Tiefen des Meeres vererben. Warum sollten Aale nicht auch andere Zauberkunststücke beherrschen, sich unsichtbar machen oder in Luft auflösen können? Wir suchten weiter: auf der Saalbühne, wo Mutters Klavier stand, an der Wand zwischen den Fenstern, wo ein Gemälde von Onkel Jakob hing; es zeigte die Stiftskirche auf dem Bergsporn, den Bahnhof, den Tunnelkopf, unseren Fluss, wie er sich als blaues Band träumend und glitzernd um den Ort schlängelte. Onkel Jakob hatte es gemalt, nachdem er aus russischer Kriegsgefangenschaft zurückgekommen war. Wochenlang saß er schweigend auf der Bühne, sah über das Dach des Anbaus auf den Fluss und begann schließlich zu malen, malte die Bilder, die er im Fluss sah, seinen Heimatort, nicht wie er in Wirklichkeit existierte, sondern so wie er in seiner Erinnerung gewesen war, als er von Sibirien bis zurück in die Eifel gewandert war, malte seine Heimat so, wie er sie sehen wollte. Kurz nachdem er das Bild beendet hatte, starb er. Mutter erbte daraufhin die Gastwirtschaft, die eigentlich ihrem älteren Bruder Jakob zugestanden hätte. In den Jahren vor Vaters Tod wurde der Saal an Veranstalter von Kaffeefahrten vermietet. Alte Leute reisten mit Bussen an, saßen an einer langen, vor der

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